Beginn der MLB:Die Albtraum-Liga

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Die Baseballsaison (hier das Stadion in Washington) beginnt trotz Corona. (Foto: Alex Brandon/AP)

Als erste der großen amerikanischen Ligen nehmen die Baseballer den Betrieb auf. Wetten darauf, dass sie ihn auch zu Ende bringen, werden von den Buchmachern nicht mehr angenommen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wie soll das funktionieren? Das war die Frage, als sich Mitte März die Vertreter der Baseballliga MLB und der Spielergewerkschaft MLBPA erstmals trafen, um wegen der Coronavirus-Pandemie über einen verspäteten Beginn der Saison 2020 zu sprechen. Es ging um Spielplan, Austragungsorte und natürlich auch, es handelt sich ja um amerikanischen Profisport, um sehr viel Geld, um mehrere Milliarden Dollar angesichts der reduzierten Anzahl der Spiele, die ohne Zuschauer in den Stadien stattfinden werden. An diesem Donnerstag wird nun die verkürzte Spielzeit eröffnet, doch noch immer lautet die Frage: Wie soll das funktionieren?

Titelverteidiger Washington Nationals empfängt die New York Yankees zur ersten Partie, und es ist natürlich kein Zufall, dass der US-Chefvirologe Anthony Fauci den zeremoniellen ersten Wurf ausführt. Er soll geehrt werden für seine Arbeit in den vergangenen Monaten und seine standhafte Haltung gegen die oft wirren Anschuldigungen von Präsident Donald Trump, aber es soll freilich auch ein Signal an die Zuschauer sein: Seht' mal her, der wichtigste Experte dieses Landes segnet mit seiner Anwesenheit den Start dieser Saison ab - das muss doch funktionieren!

Normalerweise ist die Vergangenheit vergessen am "Opening Day"

Normalerweise ist der "Opening Day" Ende März die Botschaft an die Amerikaner, dass der Winter vorbei ist - für viele signalisiert es einen Neuanfang, mehr noch als Neujahr. Der Autor Thomas Boswell schreibt im Buch "Why Time Begins on Opening Day", dass dieser Tag deshalb so bedeutsam sei, weil die Vergangenheit nun vergessen sei: Jedes Team beginne mit einer Bilanz von 0:0 und dürfe sich Hoffnungen auf den Titel machen, jeder Mensch könne nun auch von vorne anfangen. Baseball ist seit jeher eine Metapher für das Leben in diesem Land, die Amerikaner können eine Zäsur gebrauchen, und das soll der 23. Juli sein, wenn die MLB als erste der vier großen Ligen des Landes ihren Spielbetrieb wieder aufnimmt.

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Nur: So einfach wird das nicht, das zeigt allein der Spielplan der Nationals. Nach drei Spielen gegen die Yankees innerhalb von vier Tagen werden die Nationals bis Ende August 33 weitere Partien gegen neun verschiedene Teams absolvieren, es sind lediglich vier spielfreie Tage vorgesehen. 17 Partien sollen in der heimischen Arena stattfinden, die anderen in Miami, New York, Baltimore, Atlanta, Boston und Philadelphia - und ein paar in einem Stadion, das noch nicht bekannt ist. Die Toronto Blue Jays dürfen nach einer Intervention der kanadischen Regierung keine US-Teams empfangen, sie müssen ihre Heimspiele in den USA austragen. Im Gespräch sind derzeit die Spielorte Buffalo, Pittsburgh und Baltimore.

Es ist ein logistischer Albtraum in einer Zeit, in der die Leute so wenig wie möglich reisen sollen. Seit Anfang Juli sind 80 Spieler und 13 Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden. In der vergangenen Woche waren es nur fünf, dennoch verzichten einige Akteure wegen der Ansetzungen darauf, in dieser Saison zu spielen, die prominentesten sind Ryan Zimmerman (Nationals), Buster Posey (San Francisco Giants) und David Price (Los Angeles Dodgers). "Es ist das Beste für mich und meine Familie", sagt Price, der auf rund zwölf Millionen Dollar Gehalt verzichtet.

Wer in der vergangenen Woche in Scottsdale im US-Bundesstaat Arizona war, der hat das Paralleluniversum gesehen, in dem die MLB diese Saison hätte austragen können, wäre es bei den Verhandlungen weniger um Geld als um Austragungsorte gegangen: Es ist momentan möglich, vom Scottsdale Stadium (das die Giants als Trainingslager nutzen) zu den Salt River Fields (Arizona Diamondbacks, Colorado Rockies) und anschließend zum Hohokam Stadium (Oakland A's) und zum Sloan Park (Chicago Cubs) zu fahren und auf dieser gerade mal 35 Minuten dauernden Fahrt nur 17 anderen Autos zu begegnen.

Die MLB hätte, wie es die Basketballliga NBA in Disney World im Bundesstaat Florida vom 31. Juli an plant (und wofür sie vom Virologen Fauci gelobt wird), die Saison in einer "Bubble", einer Blase, austragen können. Die Stadien in Scottsdale sind wegen der ständig dort stattfindenden Trainingslager der Hälfte der MLB-Klubs ohnehin vorhanden, die Hotels ebenso, und wer sich mit Leuten in Scottsdale unterhält, der erfährt, dass dies auch der Wunsch der Liga gewesen wäre. Die Verhandlungen übers Geld jedoch waren derart verfahren, dass die Saison basierend auf einer Einigung vom 26. März zwischen Liga und Spielergewerkschaft stattfinden muss. Der Plan erinnert an die Fortsetzung der Fußball-Bundesliga - mit dem Unterschied, dass es 30 Teams gibt und nicht 18, und dass jeder Klub nicht neun, sondern bis Ende September 60 Partien absolviert, dann starten die Playoffs.

Die Spieler werden jeden zweiten Tag getestet, bei einem positiven Ergebnis wird lediglich der betroffene Akteur in Quarantäne geschickt - und nur jene Leute werden überprüft, die seit ihrem letzten negativen Test in engem Kontakt mit ihm gewesen sind. Im besten Fall wird nur dieser eine Spieler als "verletzt" eingestuft, alles andere geht wie geplant weiter. Den schlimmsten Fall mag man sich angesichts des Spielplans und der Reisen besser nicht vorstellen. "Ich habe nicht genügend Information, um, Stand jetzt, garantieren zu können, dass das klappen wird", sagt Nick Kenney, Chef der medizinischen Abteilung bei den Kansas City Royals.

Es ist angesichts all dieser Variablen kaum möglich, ernsthaft einen Favoriten auf die Meisterschaft zu benennen oder auch nur die Playoff-Kandidaten. Bei den Buchmachern liegen die New York Yankees und die Los Angeles Dodgers vorne, mit klarem Vorsprung. Doch wie verlässlich kann eine Prognose sein, wenn ein positiver Coronatest bedeutet, dass der betreffende Akteur zwei Wochen und damit knapp ein Viertel der Hauptrunde verpasst?

Es wäre die vielleicht sinnvollere Wette, auf einen Abbruch der Saison zu setzen - doch das ist zumindest offiziell nicht mehr möglich. Entsprechende Wetten werden nicht mehr angenommen. Nick Bogdanovich, US-Direktor beim britischen Buchmacher William Hill, sagt dazu: "Niemand wäre überrascht, wenn das passieren würde."

© SZ vom 23.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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