Olympia:Thomas Bachs Kollateralschaden

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IOC-Präsident Thomas Bach. (Foto: dpa)

Die Verschiebung der Sommerspiele ist nur eine Frage der Zeit. Was der IOC-Chef den Sportlerinnen und Sportlern auf dem Weg dorthin zumutet, ist empörend.

Kommentar von Claudio Catuogno

In dieser beispiellosen Krise, so beginnt IOC-Präsident Thomas Bach seinen Brief vom Sonntagabend an die "lieben Mitsportler" draußen in der olympischen Warteschleife - in dieser "beispiellosen Krise sind wir uns alle einig". Das wäre schön. Tatsächlich ist es aber wie so oft, wenn Bach und seine Spindoktoren stundenlang über olympischen Sprachregelungen brüten: Am Ende klingen sie abgewogen, diplomatisch und juristisch irgendwie alternativlos. Ob sie auch wahr sind, ist die andere Frage.

In dieser tatsächlich beispiellosen Krise können sich ja gar nicht alle Sportler einig sein, auch nicht bei der Frage, ob die Olympischen Spiele 2020 verschoben werden sollen. Selbst die deutschen Athleten sind sich nicht einig. Da gibt es etwa den Bahnradfahrer Maximilian Levy, 32, der hofft, "dass sich das IOC nicht dem öffentlichen Druck beugt", denn: "Wenn man jetzt absagt - da brechen Welten zusammen." Vier Jahre Formaufbau, punktgenau ausgerichtet, lassen sich nicht einfach ein Jahr konservieren! Es ist dies die Binnensicht eines selbständigen Sportunternehmers, die über den eigenen Hüftbeuger kaum hinausreicht - aber legitim.

Andere Athleten sehen das große Ganze, sie ahnen längst: Die Welt, wie sie im Juli 2020 sein wird, lässt so ein Massenereignis nicht zu. Und von einem IOC-Präsidenten würde man nun erwarten, dass er die Sorgen der Athleten ernst nimmt - zugleich aber die Realitäten zur Kenntnis.

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Bleibt zu Hause? Bachs Botschaft lautet: Trainiert erst mal weiter!

Bach erweckt allerdings seit Wochen den Eindruck, als wolle er der Corona-Krise genauso mit den Mitteln der Hinterzimmerdiplomatie begegnen wie etwa der russischen Staatsdoping-Krise: ein paar Kommissionen hier, ein paar Kommuniqués da, ein paar Schein-Entscheidungen fürs Publikum, der Rest wird ausgesessen. So komplex die Entscheidungsfindung logischerweise sein muss im Interessendickicht aus japanischer Staatsräson, Vermarktungsverträgen, Versicherungsfragen und den Sorgen der Verbände und Athleten: Bachs Außendarstellung ist ein Desaster. Ständig erweckt er den Eindruck, das Virus sei in erster Linie eine Belastung für Qualifikationswettbewerbe und erst in zweiter Linie für die Menschheit. Er fabuliert, Olympia abzusagen sei "unfair" gegenüber den Athleten und ihren Träumen. Da könnte man in der gegenwärtigen Kontaktverbotsphase auch argumentieren, Restaurants zu schließen sei unfair gegenüber den Gastwirten und ihren schönen Rezepten.

Die Spiele werden 2020 nicht in Tokio stattfinden. Um das zu begreifen, braucht es die vierwöchige Phase des Nachdenkens, in die das IOC am Sonntag hochoffiziell eingetreten ist, nicht mehr. Insofern muss sich auch niemand empören: Es werden im Juli nicht Hunderttausende Virenüberträger nach Japan reisen und im August zurück in ihre Heimatländer. Empörend ist, was Thomas Bach den Sportlerinnen und Sportlern im Hier und Jetzt zumutet. Seine Botschaft lautet nicht: "Bleibt zu Hause!" Sondern: Trainiert weiter! Deutlicher kann sich der Olympiabetrieb kaum verabschieden aus der gegenwärtigen Anti-Corona-Solidarität. In Deutschland, wo manche Stützpunkte zugesperrt sind, andere hingegen noch offen haben, sind Sportler nun angehalten, ihren Lebensmittelpunkt zu verlagern, um Nachteile zu vermeiden. Geht das, ohne sich oder andere anzustecken? Egal! Und was, fragt man sich, läuft wohl gerade im chinesischen Sport, wo die Anti-Doping-Behörden ihre Kontrollen im Februar eingestellt haben wegen Corona? Alles für den olympischen Traum!

Die Verschiebung der Sommerspiele ist eine Frage der Zeit. Die Kollateralschäden auf dem Weg dorthin - das ist schon heute Thomas Bachs Schadensbilanz.

© SZ vom 24.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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