Australian Open:Murray plagen schlimme Sorgen um die Familie

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Andy Murray: Schwere Zeit in Melbourne (Foto: Getty Images)

Als Andy Murray ums Achtelfinale bei den Australian Open kämpft, bricht auf dem Nebenplatz sein Schwiegervater zusammen. Dann wird der Sport zur Nebensache.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Jeden Morgen wird von den Veranstaltern der Australian Open eine Liste mit dem Betreff "Practice Schedule" veröffentlicht. Das ist sowohl für Zuschauer auf der Anlage des Melbourne Park ein feiner Service als auch für die Medienvertreter. Es sind 28 Outdoor-Plätze, die den Profis zum Trainieren zur Verfügung stehen, also alle, die das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres zu bieten hat. Auch in den drei Stadien dürfen die Topspieler sich am Vormittag einschlagen. Besonders interessant sind Court No. 16 und Court No. 17.

Hier, versteckt hinter Containern, üben die Allerbesten. Von oben, einer Art Brücke, haben die Fans einen idealen Blick. Unten wiederum stehen gerne Reporter und Fotografen und sammeln Material für die weltweite Berichterstattung. Am Sonntag um 15 Uhr war aber auf Platz 16 erst mal nichts zu sehen. Dabei sollte ein Mann kommen. Aber er kam vorerst nicht.

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Überraschend war das nicht. Der Tennisprofi Andy Murray hatte eine Nacht voller Sorgen hinter sich. Es hatten sich Ereignisse aneinandergereiht, die kaum möglich in dieser Abfolge erschienen. Wenn es einen Weg gäbe, die Wahrscheinlichkeit für all die Verkettungen zu errechnen, würde das Ergebnis nicht verwundern. Sie läge bei null Prozent. Am Samstagabend traten sie tatsächlich ein.

Die an Nummer 20 gesetzte Ana Ivanovic erlebte zwei Matches hintereinander, die für längere Zeit unterbrochen werden mussten. Schon das ist ungewöhnlich. Im Zweitrundenmatch der Serbin gegen die Lettin Anastasjia Sevastova war eine Frau auf der Tribüne die Treppen hinabgestürzt und mit einem lauten Knall aufgeschlagen. Sie musste ärztlich behandelt werden. Ivanovic hatte das sehr mitgenommen. Im Drittrundenmatch gegen die an Nummer 15 gesetzte Amerikanerin Madison Keys in der Rod Laver Arena gab es die nächste Pause. Diesmal gar fast eine einstündige.

Ein Mann war kollabiert und offenbar so aufgeschlagen, dass er heftig blutete. Jedenfalls berichteten das Zeuge so. Der Mann war: ihr eigener Trainer. Und dieser Trainer wiederum ist: Nigel Sears - der Schwiegervater von Andy Murray, der aus einer prächtigen Tennisfamilie stammt. Mutter Judy ist zurzeit Chefin des britischen Frauenteams und war mal seine Trainerin.

Die ernsten Kuriositäten gingen immer noch weiter: Murray spielte zeitgleich und ahnungslos selbst ein Match in der Margaret Court Arena nebenan. Und, auch dies: Seine Gattin Kim, Nigel Sears Tochter, ist gerade hochschwanger. Sie erwartet die Geburt ihres ersten Kindes in knapp zwei Wochen und war nicht mit nach Melbourne gereist. Man ahnt, dass die emotionale Belastung für den Murray-Clan extrem hoch gewesen sein muss in jener Nacht.

Vor den Australian Open hatte Wimbledon- und US-Open-Gewinner Andy Murray betont, er würde aus dem Turnier aussteigen und nach Hause fliegen, wenn es bei seiner Frau Anzeichen für eine frühere Niederkunft geben würde. Nach den Vorfällen am Samstagabend schien es plötzlich möglich zu sein, dass er, der absolute Weltklassespieler, jetzt schon seine weitere Teilnahme zurückziehen könnte. Um dem Schwiegervater beizustehen. Und seiner Frau. Am Montag wartet ja der Australier Bernard Tomic auf ihn im Achtelfinale.

Am Sonntagnachmittag schließlich folgte ein erstes Entwarnungszeichen. Mit einer halben Stunde Verspätung war Murray doch noch aufgetaucht. Medien durften indes nicht in den für sie eigentlich vorgesehenen Bereich. Sicherheitspersonal bewachte den Zugang. Während er mit einem Jugendspieler trainierte, wurde im Internet die Meldung eines BBC-Reporters, der Kontakt zu Sears gehabt hatte, verbreitet.

Der Brite fühle sich "gut" und rechne damit, bald wieder aus dem Krankenhaus entlassen zu werden, hieß es. Ein Fernsehreporter eines australischen Senders erzählte derweil der Süddeutschen Zeitung, Sears habe am Abend zuvor im Krankenhaus bereits aufrecht sitzen können - und sich das Match von Ivanovic im Fernsehen zu Ende angeschaut. Andys Bruder Jamie, ein guter Doppelspieler, hatte zuvor auch schon angedeutet, es gehe Sears halbwegs gut.

Als Sears zusammengebrochen war, hatte Ivanovic 6:4, 1:0 gegen Keys geführt. Der 58-Jährige erhielt sofort eine medizinische Notversorgung, eine Trage wurde geholt, eine Sauerstoffmaske angelegt und er zwischen den Zuschauern abtransportiert. Für 50 Minuten war unklar, ob Ivanovic und Keys überhaupt weiterspielen würden, aber dann erschienen sie. Das intensive und hochklassige Match gewann die Amerikanerin 4:6, 6:4, 6:4. Ivanovic verzichtete wie Murray darauf, zur obligatorischen Pressekonferenz zu erscheinen. Murray wiederum war nach seinem 6:2, 3:6, 6:2, 6:2-Erfolg gegen den Portugiesen Joao Sousa sofort vom Platz gegangen (ein paar Autogramme schrieb er noch), ließ das Siegerinterview in der Margaret Court Arena ausfallen und stieg mit Mutter Judy ins Auto. Er wollte schnellstmöglich zu seinem Schwiegervater ins Epworth Hospital.

Eine offizielle Entwarnung gab es letztlich auch noch. Die Turnierveranstalter teilten in einer Presseerklärung am Sonntagabend mit, Sears könne demnächst aus dem Krankenhaus entlassen werden und werde zeitnah nach Großbritannien zurückfliegen. Sears wurde auch zitiert, er bedankte sich für die Unterstützung des Personals und das Interesse an seiner Person. Über den Zustand seines Befindens wurde nichts bekannt gegeben. Aber Murray wird vorerst nicht abreisen, das steht nun fest. Zu gerne würde er ja einmal wenigstens die Australian Open gewinnen. Viermal erreichte er in Melbourne das Finale. Viermal verlor er.

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