Australian Open:Federer wird bestaunt wie ein Alien

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Roger Federer: In Melbourne noch beliebter als ohnehin schon (Foto: AFP)

Wo Roger Federer auftaucht, bricht ein Begeisterungssturm los: Noch erstaunlicher als sein sportlicher Auftritt bei den Australian Open ist die Wirkung, die der Schweizer auf seine Umgebung hat.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Ende 2016 flogen die Federers nach Australien, sie landeten in Perth, verbrachten schöne Tage, der Papa spielte dort Tennis. Dann zog der Clan nach Melbourne weiter, in der Metropole an der Südostküste des Kontinents muss der Papa wieder arbeiten, etwas ernsthafter als beim Hopman Cup zuvor, einem Mixed-Wettbewerb, den er mit seiner Partnerin Belinda Bencic nicht gewinnen konnte. Bei den Australian Open nahm er sich vor, "ein paar Runden vielleicht" zu überstehen, ein halbes Jahr war er weg gewesen, eine Knieverletzung wollte er auskurieren. Größere Erwartungen hatte er nicht. Er gewann ein paar Runden, die Sonne schien, die Tage waren immer noch schön, ist ja Sommer, da sagten die siebenjährigen Zwillingsmädchen, sie sind fünf Jahre älter als ihre Zwillingsbrüder: "Bitte verlier' nicht - wir wollen noch etwas länger bleiben."

Roger Federer hat sein Bestes getan. Jetzt steht er mit 35 Jahren plötzlich im Halbfinale des ersten Grand-Slam-Turniers des Jahres, er ließ dem tapferen deutschen Serve&Volley-Spezialisten Mischa Zverev, 29, der zuvor den Weltranglisten-Ersten Andy Murray besiegt hatte und seine eigene Erfolgsgeschichte genoss, beim 6:1, 7:5, 6:2 keine Chance. "Aber heute sagte eines der Mädchen zu mir, sie wäre eigentlich glücklich, wenn es jetzt zum Skifahren wieder in die Schweiz ginge", das verriet Federer, dem jede Großspurigkeit fremd ist, vor 15 000 Menschen in der Rod Laver Arena. Er habe der Tochter geantwortet: "Ach kommt, gebt mir noch ein Match. Vielleicht gehen noch ein paar Tage hier."

Australian Open
:An Mischa Zverev rauschen die Bälle vorbei

Im Viertelfinale gegen den großen Roger Federer ist auch für den letzten Deutschen Schluss. Doch er wehrt sich tapfer und begeistert mit seiner offensiven Spielweise.

Wenn es nicht schon den einzigartigen Essay des viel zu früh verstorbenen Schriftstellers David Foster Wallace geben würde, der Federer als "religiöse Erfahrung" ein Denkmal setzte, müsste man ihn jetzt noch mal genau so verfassen lassen. Rein sportlich findet da gerade das Comeback eines lange pausierenden Athleten statt, der sehr erfolgreich war. Das kommt vor im Sport. Was aber eher selten bis gar nicht vorkommt: dass sich von Tag zu Tag mehr und mehr Menschen darum drängen, diesem Athleten allein schon beim formlosen Bälleschlagen im Training zusehen zu können - stets begleitet von unzähligen "Rodschaaa, Rodschaaa"-Rufen. Und da hört es nicht auf. Sicher war es kein Zufall, dass vor dem Match gegen Zverev ein Zuschauer auf der Tribüne seiner Begleitung einen Antrag machte. Rodschaaa inspiriert.

Alle wollen ein Selfie mit ihm

Der Sender Channel 7, der die TV-Rechte für die Australian Open besitzt, installierte gar eigens eine "FedCam", die Federers Übungseinheiten stets überwacht. Reihenweise flogen Spieler aus dem Turnier, aber nicht wenige trösteten sich damit, stolz ein Selfie im Internet zu zeigen, auf dem neben ihnen Federer steht. Besser als jede gewonnene Runde. Am Dienstag verschlug Federer einen Ball, der hoch ins Publikum flog. Der Fänger jubelte unter dem Applaus von 14 999 Menschen und hielt die gelbe Filzkugel hoch, als hätte er sein Manna erhalten.

Der Amerikaner Jim Courier, der selbst zweimal in Melbourne gewonnen hat und diese herrlichen Interviews auf dem Court führt, befand neulich, dieser Federer, dem alles so scheinbar mühelos zufliege, komme ihm vor wie ein Alien. Es muss ein Alien von einem wunderbaren Planeten sein.

Man muss es einmal erlebt haben, was passiert, wenn Federer auftaucht. Regelmäßig löst er Schockwellen der freudigen Anteilnahme aus, aber je näher das bislang noch nicht definierte Karriereende zu rücken scheint, desto heftiger werden sie. Die Franzosen lieben ihre eigenen Spieler bei den French Open, die New Yorker sind patriotisch, und doch steht Federer allerorts über allen. Die Australier bei den Australian Open verhalten sich ebenso. Ständig räumt Federer alle Beliebtheitspreise ab, gerade wurde vermeldet, er sei der "größte vermarktbare Sport-Star der Welt", was Furcht einflößend klingt, selbst nach einer millionenfach entlohnten Entrücktheit vom normalen Leben.

Wie normal dieser Federer aber ist, zeigt sich zum Beispiel in kleinen Momenten während seiner Pressekonferenzen in Melbourne. Es werden viele gute Fragen dort gestellt, aber manchmal auch merkwürdige, Federer kennt längst die Spezialisten. Nie antwortet er respektlos, nie bürstet er jemanden ab, immer geht er mit ein paar tieferen Gedanken ins Detail. Interessant ist auch der Moment, wenn er sich, nachdem die internationalen Medienvertreter auf Englisch ihre Neugier stillen durften, den Schweizer Kollegen zuwendet.

Das ist der Moment, in dem man am stärksten merkt, dass er kein Alien ist. Sondern in allererster Linie ein ehrgeiziger, akribischer Sportler, der sich auch mit 35 Jahren und ganz besonders nach seiner Rückkehr an seinem Beruf labt. Wie ein guter Freund spricht er dann, der vom alten Urlaub erzählt und sich auf den nächsten freut. Federer beamt sich quasi komplett auf Augenhöhe zu den anderen herunter, auch zu denen, die keine 17 Grand-Slam-Titel gewonnen haben. Das ist übrigens der Rest der Menschheit.

Unabhängig davon, wie Federer im Halbfinale gegen seinen Schweizer Freund Stan Wawrinka abschneidet, zeigen die Tage von Melbourne: Federer hat von seiner Strahlkraft nichts verloren in sechsmonatiger Abstinenz, vielmehr klammern sich alle noch mehr an den GOAT, wie er gerne genannt wird, the Greatest of all Time, man hat ja auch erkannt: Noch so eine Verletzung wie jener am Knie in 2016, schon könnte der Tennis-GAU eintreten und Federer nie mehr zurückkehren, schon gar nicht auf dem Niveau, auf dem er sich jetzt präsentiert - zum eigenen Erstaunen.

"Er hat zeitweise Schläge gemacht, die kann nur er machen"

"Ich dachte nicht, dass ich so gut bin", sagte er, und das war keine Koketterie. Mischa Zverev, der ein glaubwürdiger Zeuge war, betonte als Erstes, er habe "einen guten Sitzplatz gehabt heute", auch er war beeindruckt. "Er hat zeitweise Schläge gemacht, die kann nur er machen." Zum Beispiel habe Federer die Bälle viel mehr als Murray beschleunigt, was Zverev vor allem beim Aufrücken ans Netz weh tat. Federer habe auch "acht verschiedene Aufschläge". Selbst als Zverev im zweiten Satz eine Minichance hatte, als er 3:1 führte, gab das dem Bruder des aufstrebenden Alexander, 19, nicht wesentlich mehr Zuversicht: "Gegen Roger ist es nicht so einfach." Goran Ivanisevic, der den Tschechen Tomas Berdych coacht, der von Federer in der dritten Runde vernascht wurde, sagte: "Das war eine Trainerstunde vor 15 000 Menschen."

Fürs Tennis ist das sicher die beste Nachricht: Federer ist zurück und so wettbewerbsfähig, als sei er nie weg gewesen. Und er will länger bleiben. Nicht nur, weil es seine Kinder ihm aufgetragen haben. Die Skier sollen noch eine Woche warten. Am Sonntag ist das Finale in Melbourne.

© SZ vom 25.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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