Auftakt der Skisprung-Saison:Zeit für den Paukenschlag

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Knabenwunder der deutschen Skispringer: Andreas Wellinger, 18, in Innsbruck. (Foto: dpa)

Im sächsischen Klingenthal beginnt für die deutschen Skispringer die Olympia-Saison. Nach allen Bemühungen der vergangenen Jahre nähert sich die Ära des Bundestrainers Werner Schuster ihrer entscheidenden Phase. Am Ende wird die Frage stehen: Hat sich der Aufwand gelohnt?

Von Thomas Hahn

Richard Freitag ist hängen geblieben auf dem Weg in die neue Skisprung-Saison. Ermüdungsbruch im Mittelfuß, der Weltcup-Auftakt in Klingenthal an diesem Wochenende findet ohne ihn statt, was der deutsche Bundestrainer Werner Schuster "ein bisschen schade" findet. Freitag, 22, ist Sachse, geboren in Erlabrunn, da wäre es ihm bestimmt ein besonderes Anliegen gewesen, im Vogtland zu starten. Vor allem aber ist Freitag eine bewährte Stütze des Schuster-Teams, ein zweimaliger Weltcup-Gewinner mit Aussichten auf mehr.

Dass ausgerechnet so ein Hochbegabter die Frühphase des Olympia-Winters verpasst, kann die komplette Teambilanz beeinträchtigen. So ein Pech. So eine Ernüchterung. So ein böses Schicksal. So eine niederschmetternde, nachgerade verheerende . . . "Moment", sagt Schuster und schiebt die Wolken vom Himmel, "es gibt ja eine realistische Perspektive, dass er zur Vierschanzentournee, aber speziell bis Olympia wieder fit ist. Vielleicht sagen wir in drei Monaten: Schau her, der Richard Freitag war in Sotschi der Beste, weil er der Einzige war, der frisch war."

Spätestens 2014 sollen Triumphe her

Der Österreicher Werner Schuster, 44, steht vor seiner sechsten Wintersaison als Sprung-Bundestrainer des Deutschen Skiverbandes (DSV). Es beginnt die letzte Phase seines Engagements, das im Frühjahr 2008 mit dem klaren Auftrag begann, die damals kriselnde Vorzeige-Abteilung des DSV wieder auf Vordermann zu bringen, damit sie spätestens 2014 wieder Triumphchancen hat. Ein groß angelegtes Projekt biegt auf die Zielgerade, alle Bemühungen der vergangenen Jahre gipfeln in dieser Saison, und am Ende wird die Frage stehen: Hat sich der ganze Aufwand gelohnt, mit dem Schuster und der Sportliche Leiter Horst Hüttel die Sparte vom Kopf auf die Füße stellten, umbauten, modernisierten?

Schuster hätte also Grund genug, nervös zu sein jetzt. Zumal er ein klares Bewusstsein hat für seine Verantwortung als Leitfigur im Gesamtgefüge der vielen dienstbaren Geister, Trainer und Kadersportler. Und zumal er auch den Blick nicht verschließt vor den Erwartungen von außen in seinem kleinen Fernsehsport, der immer noch zu den größten Quotenbringern der DSV-Welt gehört.

Nach Jahren der guten Ansätze und Achtungserfolge, wird es Zeit für einen Paukenschlag, das weiß Schuster. "Wahrscheinlich wird der Druck jetzt größer denn je", sagt er, "weil jetzt wollen mehr Leute Resultate sehen. Die Leute wollen sehen, wie ein junger deutscher Springer am großen Kuchen mitnascht, um den Tournee-Sieg mitspringt oder bei Olympia eine Einzelmedaille gewinnt."

Aber Schuster ist nicht nervös. Zumindest nicht so nervös, dass man es ihm anmerken könnte oder er längere Klagelieder anstimmen würde, weil einer seiner Besten die sensible letzte Trainingsphase im Herbst verpasst hat. Schuster strahlt viel Ruhe aus. Das hat zum einen bestimmt damit zu tun, dass ihm nicht entgangen ist, wie gut er als Person und Fachmann angekommen ist bei Verband und Publikum.

Sein Vertrag ist längst bis 2015 verlängert, der DSV ist zufrieden mit der Art, wie er Harmonie im zerklüfteten Sprungbetrieb gestiftet hat. Und mit der gefürchteten deutschen Öffentlichkeit hat Schuster die Erfahrung gemacht, dass die durchaus mit sich reden lässt, wenn man volksnah und anschaulich bleibt beim Versuch, einen Neuaufbau zu moderieren. "Ich habe auf diese Karte Authentizität gesetzt und ich kriege sehr viele positive Rückmeldungen bis zum heutigen Tag", sagt Schuster.

Aber natürlich hat diese Ruhe auch damit zu tun, dass Schuster weiß: Der sportliche Weg stimmt. Seine aktuelle Weltcup-Mannschaft mit Leitwolf Severin Freund hat mit der von 2007/08 kaum mehr etwas zu tun: Nur der Bayer Michael Neumayer, 34, ist aus der Ü30-Fraktion im A-Team übrig geblieben. Der frühere Weltmeister Martin Schmitt, 35, kämpfte zuletzt vergeblich um Anschluss, seine jüngsten Leistungen nennt Werner Schuster "weder Fisch noch Fleisch" - junge Leute wie Karl Geiger, 20, oder Marinus Kraus, 22, sind dem Altmeister derzeit voraus.

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Von Thomas Hahn, Innsbruck

Die Schuster-Schule greift, der Generationen-Wechsel ist so gut wie vollzogen, und der Bundestrainer erkennt in den Sprüngen seiner Leute jene Qualität, die im modernen Sprungbetrieb erstklassige Leistungen ausmacht. Der jüngste Aufsteiger hat sogar den Sommer-Grand-Prix gewonnen: Andreas Wellinger, 18, der im vergangenen Jahr als Knabenwunder in die Saison startete. Wellinger nahm nur an fünf von elf Wettkämpfen der Mattensprung-Serie teil, das reichte, und Schuster deutet den Erfolg als "Indiz, dass hier qualitativ was kommt": "Er kann alle schlagen. Ich bin froh, dass er in meiner Mannschaft ist und nicht in einer anderen." Trotzdem warnt Schuster natürlich davor, dem jungen Wellinger "zu viel umzuhängen".

In der Skisprungwelt ist die Elite näher zusammengerückt. Die Dominanz der Österreicher bröckelte schon im vergangenen Jahr, und es kann gut sein, dass der Trend sich gleich am Samstag beim Teamspringen im Klingenthaler Schanzenstadion fortsetzt, dessen Aufsprunghang mit altem Schnee aus dem Depot und mit neuem aus der Kanone belegt ist. Schuster betrachtet den verschärften Konkurrenzkampf mit erstarkten Polen und Slowenen ohne Illusionen. Sieggarantien gibt es weniger denn je.

Aber er hat Vertrauen in den Fortschritt, den er in seinen Reihen sieht: "Im Moment haben wir mehrere Säulen, auf denen wir stehen. Wir haben das Durchschnittsniveau wieder anheben können." Deshalb muss Richard Freitag jetzt nicht hudeln bei der Genesung. Und deshalb fürchtet Werner Schuster keine Erwartung und keine Zukunft. "Es werden wieder deutsche Siege kommen, das ist so sicher wie das Amen im Gebet", sagt der Bundestrainer, "nur wie schnell, weiß ich nicht. Ich hoffe, dass ich dann noch dabei bin."

© SZ vom 21.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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