Auftakt der Biathlon-Saison:Zurück zur Pubertät

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Sehnsucht nach einer Siegerin: Miriam Gössner galt lange als das größte Talent im deutschen Frauenbiathlon. Doch dann war sie schwer verletzt. (Foto: dpa)

Verletzungen, Enttäuschungen, Degradierungen: Die einst heile Welt des Biathlons macht schwierige Zeiten durch. Was der Lieblings-Wintersport der Deutschen bräuchte, wäre Geduld - doch die ist vom Publikum kaum zu erwarten.

Von Volker Kreisl

In Wahrheit gibt es viele gute Nachrichten. Miriam Gössner sagt, sie mache täglich Fortschritte. Franziska Preuß sagt, das neue Trainergespann sei für sie ideal. Alle Biathletinnen loben den Input, den der neue zweite Bundestrainer Tobias Reiter bringt. "Frischer Wind", nennt es Gössner. Und erst die Männer. Sie haben sich in diesem Sommer, wie man sagt, den "letzten Schliff" verpasst, Arnd Peiffer zum Beispiel hat auch mal ein bisschen Mentaltraining ausprobiert. Das wäre im Prinzip der deutsche Biathlon-Ton der vergangenen zwölf Erfolgsjahre. Die Spitzenmeldungen zum Saisonstart in Östersund lauteten aber: "Gössner nicht in der Mixed-Staffel". Und: "Dahlmeier im Dezember nicht im Weltcup".

Und da war es wieder, das leichte Unbehagen, das seit zweieinhalb Jahren die Freude der Biathlon-Zuschauer beeinträchtigt. Biathlon ist der Winter-Liebling der Deutschen, in der Zeit der Nullerjahre war dieser Sport wie ein gut erzogenes Kind, verlässlich und stets vorzeigbar. Aber alle Kinder kommen irgendwann in die Pubertät, und dann machen sie Ärger.

Die ersten Symptome kamen 2010, als die Männer erstmals bei Olympischen Spielen ohne Medaille blieben. Es folgte ein Trainerwechsel, die drohende Flaute fing Rekordsiegerin Magdalena Neuner auf, die ihrerseits aber plötzlich im Dezember 2011 ihren Abschied ankündigte. Die einzige Erfolgsbiathletin, die nicht aus dem Elternhaus Skiverband ausziehen wollte, war Andrea Henkel, sie hielt bis 2014 durch. Und doch erlebte der weibliche Teil der Biathlonfamilie eine Krise: Bei Olympia in Sotschi keine Medaille, ein Streit im Team, Stürze, Stockbrüche, Tränen, ein Dopingfall, die Versetzung des Trainers Ricco Groß in die zweite Reihe, und davor und danach: Verletzungen.

Plant man den Sonntagnachmittag anders?

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So eine Krach-Phase ist kein Weltuntergang, wenn sie aber trotz vorheriger Beschwichtigungen über eine vermeintlich heile Welt hereinbricht, hinterlässt sie Zweifel. Wenn Gössner und Dahlmeier nun nicht wie geplant starten können, sind sie dann wieder nicht zum Saisonhöhepunkt fit? Lohnt es sich, die Weltcupreise nach Ruhpolding im Januar zu buchen, wenn da ohnehin kein Deutscher eine Siegchance hat? Und: Plant man den Sonntagnachmittag vor dem Fernseher vielleicht anders? Legt man den Spaziergang besser auf den Nachmittag, wenn die Biathleten nicht auf das Podest kommen, und schaltet später ein, wenn die Kombinierer mit ihren aktuellen und künftigen Olympiasiegern wieder oben stehen?

Obwohl Biathlon nicht gefährlich ist, zieht sich das Thema Verletzungen durch die Jahre der deutschen Pubertät. Die Häufung könnte Zweifel an der Professionalität wecken. Vor Sotschi zum Beispiel verletzten sich die Besten bereits im Sommer. Andreas Birnbacher zog sich beim Fußballspielen einen Innenbandriss zu, einen Monat zuvor war Miriam Gössner beim Mountainbiken gestürzt und hatte sich mehrere Wirbel gebrochen. Gössner verpasste Olympia, Birnbacher war auch wegen der Störung des Trainingsaufbaus außer Form - und er sucht sie immer noch. Am Wochenende startet er im zweitklassigen IBU-Cup, um sich noch für das Weltcupteam zu empfehlen.

Gesetzt ist dagegen die Garmischerin Laura Dahlmeier, die nach ihrem Kletterunfall im Spätsommer nur eine Wettkampfpause einlegt. Am weitesten scheint Franziska Preuß aus Haag im Chiemgau zu sein, die andere hoch gehandelte Nachwuchsbiathletin. Sie hat nicht nur ihren Sotschi-Schock, den Sturz als Staffel-Startläuferin, hinter sich gelassen, sondern auch den Faserriss, den sie sich im März beim Weltcup in Pokljuka zugezogen hatte. Ein Faserriss ist nicht schlimm, man braucht nur Ruhe. Preuß' Faserriss hielt man aber zunächst für eine Zerrung. Also biss sie bei den weiteren Rennen auf die Zähne: "Ich hab' gedacht, dann muss es jetzt halt wehtun."

Ein Fußball-Profi darf ab einer gewissen Gehaltsklasse nicht mehr Skifahren gehen, ein Biathlet bleibt sein eigener Herr, und man wird Birnbacher, Gössner und Dahlmeier das Kicken, Biken und Klettern nicht verbieten können. Auch ist die medizinische Abteilung der Biathleten so professionell wie jede andere. Und sogar der erfolgreichste Biathlet, der Norweger Ole Einar Björndalen, hatte sich schon dämlich verletzt - beim Holzfällen.

Und doch häuften sich diese Blessuren vielleicht nicht nur zufällig. Womöglich haben die Verletzungen damit zu tun, dass ein Sportler latent Sorgen hat. Dass Birnbacher mit Macht den Anschluss an die Jüngeren suchte, könnte seinen nächsten Sturz erklären, den auf Rollerski in diesem Sommer. Und womöglich verkrampfen auch die größten Bewegungstalente sogar beim Ausgleichssport, wenn sie unbewusst glauben, der Wintersport Nummer eins hänge nur von ihnen ab.

Claus Pichler ist Bürgermeister in Ruhpolding und OK-Chef des Weltcups. Und Ruhpolding ist ein gutes Fieberthermometer für das Befinden des Biathlons. Bei der WM 2012 erreichte man mit täglich 30 000 Zuschauern einen weltweiten Rekord. Danach sank die Zahl auf durchschnittlich 16 000, besser wurde es auch 2014 nicht. Die Siegphase mit der wohl einmaligen Neuner war eben zu Ende. Und zugleich deuteten Umfragen auf einen Generationswechsel im Publikum. Für viele Ältere, sagt Pichler, war die WM 2012 die letzte große Biathlon-Reise. "Ruhpolding lebt aber vom Fremdenverkehr", sagt er, "nach dem Einbruch, das war eine unschöne Zeit." Aber, und jetzt ertappt sich der Bürgermeister dabei, "schon wie ein Sportler" zu formulieren: "Wir arbeiten daran, und geben unser Bestes."

Ruhpolding-Weltcup ist wie ein Grand-Slam

Das klingt wirklich nach den zuversichtlichen Botschaften, die Gössner und Birnbacher zurzeit abgeben, oder auch Kollegen in guter Form, der olympische Silber-Gewinner Erik Lesser zum Beispiel, der sich stark entwickelt, aber auch das Pech hat, dass in seiner Zeit die überragenden Biathleten Martin Fourcade und Emil Hegle Svendsen die Siege meist unter sich ausmachen. Gössner, Birnbacher, Lesser und alle anderen fordern zu Recht Geduld von Medien und Publikum. Und wenn man irgendeinen Kollegen oder Fan fragt, dann unterschreibt der das sofort.

Und doch widerspricht Geduld schnell dem Verdrängungskampf der Sportvermarktung. Die braucht Heimsiege und Lokalmatadoren, keinen langen Wiederaufbau. Fällt der trotzdem an, dann müssen sich die Betroffenen ihre Zeit erkämpfen, zusammenhalten, sich weniger ablenken lassen und vielleicht mal die Gegenseite, das erfolgshungrige Publikum, ablenken.

Der Ruhpoldinger Claus Pichler ist nebenbei auch Tennisfan. Er wirbt damit, dass sein Weltcup mittlerweile Tradition habe, fast wie ein Grand Slam. Ein Treffen also, das den Sportfan immer interessiere. Also wollen die Ruhpoldinger dem Publikum auch in diesen Zeiten etwas bieten. Ihre Tribünen sind wieder kleiner geworden, dafür können die Fans nun über einen Weg von links näher an den Schießstand heranlaufen. Sie sehen als Führende vielleicht nicht die Deutschen, dafür aber die Federers und Djokovics des Biathlon heranskaten, anlegen und abdrücken.

Und wer weiß, vielleicht reicht die Geduld ja doch, dann kann man so ein Stadion auch schnell wieder erweitern.

© SZ vom 29.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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