Auftakt der Biathlon-Saison:Geflasht in die Winterpause

Lesezeit: 6 min

EIn Herz für Biathleten: Erik Lesser freut sich über seinen Podestplatz in Annecy (Foto: dpa)

Die deutschen Biathlon-Männer mischen im Weltcup überraschend weit vorne mit. Erik Lesser beeindruckt mit seinem Podestplatz, Daniel Böhm überragt am Schießstand alle Konkurrenten - nur Andreas Birnbacher sucht noch nach seiner Form.

Von Saskia Aleythe

Uwe Müßiggang gab sich gelassen. Der Chef-Bundestrainer der Biathleten sollte erklären, woran sie lag, diese Ansammlung an Schießfehlern beim ersten Wettbewerb der neuen Biathlon-Saison. 18 Nachlader hatte sich die Mixed-Staffel in Östersund geleistet und sogar fünf Strafrunden absolviert, es war ein Debakel am Gewehr. "Die Mannschaft hat hart gearbeitet", sagte Müßiggang damals, "und das wird auch sichtbar werden in dieser Saison. Es werden andere Ergebnisse kommen."

Nach den ersten drei Weltcup-Stationen ist klar: Müßiggang hat Recht behalten. Immer mehr rückt die Auswahl von Männer-Trainer Mark Kirchner aus dem Schatten des Frauen-Teams und in die Nähe der Spitzenplätze. "International sind wir voll konkurrenzfähig", sagt Kirchner. Mittlerweile klappt das Schießen meist wunderbar, während beim Laufen noch Potenzial besteht. Erik Lesser liegt als bester Deutscher auf Platz vier im Gesamtweltcup. Dahinter tobt ein munterer Konkurrenzkampf um die Nominierung für Olympia, bei dem Routinier Andreas Birnbacher noch um Sotschi bangt. Ein Zwischenfazit nach den ersten drei Weltcup-Stationen.

Erik Lesser: Die Zeiten, in denen Erik Lesser mit seinem Bart Hulk Hogan ähnelte, sind vorbei. Eine Laune war das im vergangenen Winter, mehr nicht. Eindrucksvoll ist Lesser noch immer: Als bester Deutscher bestätigt er den Trend der letzten Jahre, dass er sich in der Weltspitze etablieren könnte. Aussetzer gibt es noch, nach tollen Leistungen in Östersund (Rang zehn im Einzel, Rang sieben im Sprint) patzte er in Hochfilzen beim Sprint mit fünf Fehlversuchen, wurde 73., musste seinen Platz in der Staffel abgeben und verpasste das Verfolgungsrennen. Doch Lesser machte einfach weiter mit dem, was er im Normalfall gut kann: Laufen, Schießen, Treffen. In Annecy bescherte der 25-Jährige den deutschen Biathleten den ersten Podestplatz in einem Einzelrennen in diesem Winter, er wurde Zweiter. "Ich habe das überhaupt nicht erwartet", sagte Lesser, "deshalb war ich auf der letzten Runde, wie sagt man auf neudeutsch so schön, geflasht". Das Schießen absolvierte er in gleich drei Rennen ohne Fehlversuche, die Norm für die Olympischen Spiele in Sotschi ist längst erfüllt. "Aber wir haben noch drei Weltcup-Stationen, und erst dann befasse ich mich mit den Olympischen Spielen", sagt Lesser und hebt die Prioritäten in der Weihnachtszeit hervor: "Jetzt freue ich mich, zu Hause in meinem Bett zu liegen und viel Zeit mit meiner Freundin zu verbringen."

Arnd Peiffer: Der Name Arnd Peiffer ist so fest mit Biathlon verankert, dass man dazu verleitet wird, ihn älter zu machen als er ist. Als Talent wurde er 2011 Weltmeister im Sprint. Nun ist Peiffer 26 Jahre alt und auf der Suche nach den alten Erfolgen. Zwei Mal schloss er den Gesamtweltcup als Vierter ab, in der vergangenen Saison fiel er vor allem wegen seiner Unsicherheit am Schießstand auf Rang 18 zurück. Die neue Saison ist für Peiffer zumindest mit einigen Lichtblicken versehen. Die Norm für Sotschi hat er erfüllt. Er schloss ein Rennen ohne Schießfehler ab, in Östersund schaffte er es auf Rang fünf im Sprint. Stabil ist Peiffer allerdings nicht, im ersten Einzelrennen des Winters reagierte er zu unflexibel auf die Windverhältnisse, gleich fünf Scheiben blieben stehen. "Mich würde mal interessieren, wo die Schüsse landeten", sagte er ratlos. Auch in Annecy suchte er nach einem überzeugenden Staffelrennen erneut seine Form und landete jenseits der besten 30. Angst und Schrecken löst er derzeit bei der Konkurrenz nur in den Teamwettbewerben aus.

Andreas Birnbacher: Biathlon gehört nicht zu den risikoreichen Sportarten. Verletzungsbedingte Langzeitpausen bekommt Andreas Birnbacher trotzdem gut hin. Einmal zog er sich einen dreifachen Bänderriss im Sprunggelenk zu - beim Sturz auf einer Treppe - in diesem Sommer riss beim Fußballspielen das Innenband im rechten Knie. Der Trainingsrückstand macht sich bemerkbar, und so gewinnt der Routinier im Team die Erkenntnis, dass die Jugend momentan an ihm vorbeigezogen ist - die vergangene Saison hatte er noch als bester Deutscher auf Rang fünf abgeschlossen.

Den Auftakt in Östersund verpasste Birnbacher - natürlich aus gesundheitlichen Gründen, er hatte sich erkältet. Die bescherten ihm nach eigener Erklärung auch für Hochfilzen "läuferische Defizite", dort fiel er jedoch vor allem am Gewehr negativ auf. In der Staffel übernahm er nach Daniel Böhm auf Position zwei liegend, nach fünf Nachladern und zwei Strafrunden übergab er als 14. an Arnd Peiffer. "Das darf nicht passieren. Ich bin nicht zur Ruhe gekommen, habe einfach nicht den Rhythmus geschossen, obwohl null Wind war", sagte Birnbacher. Immerhin: Rückschläge scheinen ihn eher zu motivieren als zu behindern. Auffällig sind seine Jägerqualitäten in der Verfolgung, in der er in diesem Winter auch schon mal 18 Plätze aufholte. Will er nach Sotschi, muss er aber nachlegen: Mit einem 15. Platz als bisher bestes Resultat hat er erst die halbe Norm.

Simon Schempp: Einen Sprung nach vorne machen will Simon Schempp in diesem Winter - doch dieses Projekt musste er zunächst vertagen: Eine Nasennebenhöhlenentzündung verhinderte einen Start in Östersund. In den Rennen danach erfüllte er seine Ankündigung - der 29. der vergangenen Saison wurde in seinem ersten Rennen des Winters Achter, in der Verfolgung holte er noch zwei Plätze auf, die Olympia-Norm war geschafft. In der Staffel avancierte Schempp auch wegen seiner Souveränität am Schießstand zum vertrauenswürdigen Schlussläufer, musste aber in Annecy erkennen, dass er läuferisch bezwingbar ist.

Auf Rang eins liegend übernahm er von Arnd Peiffer, der Russe Anton Shipulin lag da noch 25 Sekunden zurück. Schempp musste einmal nachladen am Schießstand und ging mit Schipulin in die letzte Runde - im Schlussspurt unterlag der 25-Jährige. "Er hat auf der letzten Runde immer mal wieder angerissen und das Tempo hochgehalten", sagte Schempp, "er ist einfach ein sehr starker Spurter. Leider hat es nicht gereicht." Kein Grund zum Verzweifeln für Schempp: Der Rückstand betrug nur 0,3 Sekunden. Aktuell liegt der Deutsche auf Rang elf im Weltcup, mit einer Station weniger als die meisten Konkurrenten. Sieht definitiv nach einem Leistungssprung aus.

Florian Graf: In den vergangenen Jahren hatte sich Graf an die Top-20-Athleten herangepirscht. Nach dem diesjährigen Saisonstart ist er allerdings vom Talent zum Sorgenkind mutiert. In der Mixed-Staffel in Östersund übernahm er auf Position drei liegend als Schlussläufer, musste dann aber nach sechs Nachladern fünf Strafrunden absolvieren - und kam als Siebter ins Ziel. "Das war scheiße und hätte einfach nicht passieren dürfen", ärgerte sich der 25-Jährige. Auch danach blieben die schwarzen Scheiben viel zu oft stehen. In Oberhof wird Graf nicht starten, das weiß er schon jetzt. "Man setzt sich selbst gewisse Ziele, immer ausgehend davon, was man im Training bringt", sagt Graf, "an diesen Zielen bin ich leider in den ersten drei Weltcups vorbeigeschrammt". Und das nicht einmal knapp. Ein minimaler Trost: Mit einem zwölften Platz in Hochfilzen hat er zumindest die halbe Olympia-Quali geschafft. Bis zum Nominierungsschluss am 23. Januar dürfte es dennoch eng werden.

Daniel Böhm: Der 27-Jährige gehört zu den Pendlern im deutschen Team. Mal wird er für den Weltcup nominiert, mal muss er zugunsten anderer Athleten pausieren - was nicht bedeutet, dass Böhm dann die Füße hochlegt. Er geht ab und an im unterklassigen IBU-Cup an den Start. Vier Wettbewerbe hat er dort in diesem Winter schon absolviert und sich die Weihnachtspause gründlich verdient. Im ersten Weltcup-Rennen in Östersund lief er auf Rang fünf und sicherte sich die Olympia-Norm. Mit einer Trefferquote von 97 Prozent (68 von 70 Schüsse verwandelt) ist er die Nummer eins am Gewehr - der gesamten Weltcupkonkurrenz. In vier absolvierten Einzelrennen kam er stets unter die besten 15. Böhm ist ein Toparbeiter mit Topresultaten - auch wenn er manchmal pendeln muss.

Christoph Stephan: Für Christoph Stephan wird das neue Jahr höchstwahrscheinlich mit einem Heimspiel in Oberhof starten. Der 27-Jährige ist eigentlich der Pendel-Kumpane von Daniel Böhm, könnte nun aber vor allem vom schwachen Saisonstart von Florian Graf profitieren. "Seit drei Jahren kämpfe ich, um wieder ins Team zu kommen. Zwischendurch habe ich fast den Kopf hängen lassen", sagt Stephan, der 2009 WM-Silber im Einzel gewann, danach aber - auch wegen gesundheitlicher Probleme - wieder aus der Weltspitze rückte. In diesem Winter musste nur in Hochfilzen pausieren. Mit Nervosität und vier Fehlern startete er beim Einzel in Östersund, mit Rang sieben in der Verfolgung in Annecy schaffte er die Olympia-Norm. Stephan wird es den Bundestrainern nicht leicht machen, was die Nominierung für Sotschi angeht. Dass mit Benedikt Doll auch noch ein Anwärter aus dem IBU-Cup auf seine Chance wartet, erhöht hingegen auch den Druck auf Stephan.

Die Konkurrenz: Vielleicht war es ein taktisches Manöver von Martin Fourcade: Beim ersten Auftritt in Östersund ließ der Franzose untypischerweise drei Scheiben stehen und vermasselte damit seinem Team den Sieg. Sollte der Dominator der letzten Jahre tatsächlich zu schlagen sein? Fourcade rückte schnell die Verhältnisse zurecht, drei Siege holte er schon in den Einzelrennen, stand in fünf der sechs Wettbewerbe auf dem Podest. So stabil ist keiner der Konkurrenten. Nur der Norweger Johannes Thingnes Boe meldete mit zwei Siegen zum Jahresende noch ernsthafte Ambitionen an, Fourcade auf die Pelle zu rücken.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: