Atalanta Bergamo:Die Göttin im Topf

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Beinahe-Nationalspieler aus Emmerich: Im Dezember feierte Robin Gosens sein Tor zum 3:0 für Atalanta Bergamo bei Schachtjor Donezk in der Champions League. (Foto: Sergei Supinsky/AFP)

Ideen statt Millionen: Bergamo überrascht bei seiner Premiere in der Königsklasse mit dem Achtelfinal-Einzug. Auch dank eines unbekannten Deutschen.

Von Lisa Sonnabend

Es war fast drei Uhr nachts, als Alejandro Gomez die Luke des Reisebusses öffnete und aufs Dach kletterte. Der argentinische Stürmer reckte die Arme in die Luft, er dirigierte 1500 Fans. Sie schwenkten Fahnen, sangen und riefen ihm zu: "Wir sind so stolz auf euch!" Am Flughafen von Bergamo spielten sich Szenen ab, als würde ein Team mit der Champions-League-Trophäe heimkehren. So weit ist es noch nicht, doch dem Klub Atalanta aus dem idyllischen Städtchen Bergamo nahe Mailand, wo das Stracciatella-Eis erfunden wurde, ist am Mittwochabend Sporthistorisches gelungen.

Bergamo nimmt in dieser Saison erstmals an der Champions League teil und hat nach dem 3:0-Sieg bei Schachtjor Donezk auf Anhieb das Achtelfinale erreicht - obwohl die ersten drei Gruppenspiele alle verloren gegangen waren.

Seit Einführung der Champions League hatte es erst ein Klub nach einem derart schlechten Start noch geschafft, die Vorrunde zu überstehen: Newcastle United, in der Saison 2002/03. Atalanta ist nun unter 16 Achtelfinalisten der einzige Außenseiter. "Wo die Millionen nicht genügen, siegen die Ideen", dichtete die Zeitung Corriere dello Sport am Tag danach begeistert: "Atalanta ist Ausdruck eines Fußballs, der Freude macht." Da kann man den Flughafen schon mal zur Fankurve verwandeln.

Mit dem Sieg gegen Schachtjor hüpfte Bergamo in der Gruppe C noch von Platz vier auf zwei, weil Manchester City, obwohl schon feststehender Gruppensieger, bei Dinamo Zagreb klar gewann. "Wir sind glücklich, dies für unsere Stadt, unsere Fans und den gesamten italienischen Fußball geschafft zu haben", sagte Bergamos Trainer Gian Piero Gasperini: "Wir haben gezeigt, dass unser Spielstil auch in Europa erfolgreich sein kann."

Nach drei Niederlagen zum Start überstehen die Italiener doch noch die Gruppenphase

Atalanta, das auch "La Dea", die Göttin, genannt wird, legte in der Ukraine einen weiteren forschen Auftritt hin. Es trafen der Belgier Timothy Castagne, der Kroate Mario Pasalic - und der Deutsche Robin Gosens, der symbolisch für das System Atalanta steht, das sich mit wenig Budget, aber kluger Talentförderung hervortut.

Der 25 Jahre alte Gosens, der aus Emmerich kommt, spielte für die niederländischen Klubs Vitesse Arnheim, Dordrecht und Heracles Almelo. Es war nicht die große Bühne, doch aufmerksamen Atalanta-Scouts fiel Gosens auf. 2017 wechselte der linken Außenverteidiger nach Bergamo zu einem Verein, der sich bis dahin meist im Mittelfeld der Serie A versteckte, ab und zu auch ab-, aber meist gleich wieder aufstieg. Inzwischen spielt Bergamo unter Trainer Gasperini oben mit. Die vergangene Saison wurde auf Platz drei beendet, es war die erfolgreichste Saison in der Geschichte des 1907 gegründeten Klubs.

Nun geht es auf ähnliche Art weiter. In der Liga liegt Bergamo auf dem sechsten Rang, nur einen Punkt hinter Platz vier (Cagliari). Atalanta agiert offensiv, presst früh - und wird immer selbstbewusster. Der 1,65 Meter große Kapitän Gomez, der auf das Dach des Busses stieg, hat in der Serie A und in der Champions League bereits fünf Treffer erzielt und sechs vorbereitet. Er hat somit genauso viele Scorerpunkte wie sein berühmter Ligakollege Cristiano Ronaldo von Juventus Turin. Nach dem Achtelfinaleinzug sagte der 31-Jährige: "Ich bin sprachlos. Das wird in die Geschichte des Fußballs eingehen."

Der Erfolg Bergamos verläuft wie in einem Märchen, das allerdings auch ein düsteres Kapitel hat. 2011 gestand Atalanta-Spieler Cristiano Doni, bei zwei Partien der Serie B manipuliert zu haben, um seinem Team zum Wiederaufstieg zu verhelfen. Er beteuerte, dass der Klub davon nichts gewusst habe. Der Spieler wurde bestraft, dem mittlerweile wieder erstklassigen Verein wurden lediglich sechs Punkte abgezogen. Daran erinnert sich nun natürlich kaum noch jemand. Die italienischen Medien schreiben von der "Nacht der Wunder", sie sehen "die Göttin im Olymp", und die Gazetta dello Sport titelte erfreut: "Atalantas Qualifikation ist ein Weihnachtsgeschenk für unseren Sport."

Am Montag wird Bergamo der Gegner zugelost, im Topf sind unter anderem Barcelona, Bayern, Liverpool und Paris. Das K.-o.-Duell im Frühjahr wird allerdings nicht im heimischen Stadion ausgetragen, das gerade mal 21 000 Zuschauer fasst und von den Hügeln der Po-Ebene umrahmt ist. Denn diese Arena wird gerade ausgebaut, der Erfolg hat den Verein überrannt. Die Champions-League-Heimspiele finden im 50 Kilometer entfernten Mailand statt, im San-Siro-Stadion.

Der Verteidiger Gosens würde indes gerne zu Schalke 04 wechseln, der Bundesligist soll interessiert sein. Bislang hat sich Bergamo aber gegen den Deal gewehrt. Sie haben schließlich noch einiges vor.

© SZ vom 13.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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