Arminia Bielefeld:Eine Laufbahn wie ein Flugzeugstart

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Bielefelds Coach Uwe Neuhaus. (Foto: Getty Images)

Mit 60 Jahren debütiert Uwe Neuhaus als Trainer von Arminia Bielefeld in der Bundesliga. Über einen Coach, der im Training Schüttelreime und Zungenbrecher aufsagen lässt.

Von Ulrich Hartmann, Bielefeld

Am Montagabend hat sich Uwe Neuhaus geschämt, mit versteinerter Miene stand er in seiner Coaching Zone an der Hafenstraße in Essen. 2006 hatte er dort mit dem Zweitliga-Aufstieg von Rot-Weiss seinen ersten Triumph als Cheftrainer gefeiert, jetzt erlebte er dort als Trainer von Arminia Bielefeld einen deprimierenden Abend. Der Bundesliga-Aufsteiger schied durch ein 0:1 in der ersten Pokalrunde beim Viertligisten aus - ganz schön blamabel im ersten Pflichtspiel jener Saison, die den vorläufigen Höhepunkt in der Trainerlaufbahn von Neuhaus markieren soll.

Rückschläge thematisiert der 60 Jahre alte Westfale allerdings gerne proaktiv. Wenn man ihn etwa nach seinem Geheimnis fragt, wie ihm bei jeder seiner vier Cheftrainer-Stationen ein Aufstieg gelingen konnte - bei Essen, Union Berlin, Dynamo Dresden und nun in Bielefeld -, dann antwortet er gespielt beschämt: "Ich habe leider auch ein paar dunkle Flecken in meiner Karriere."

Neuhaus beichtet dann, wie er als Spieler in den Achtzigerjahren mit dem TuS Hattingen knapp nicht in die Landesliga und mit dem VfL Winz-Baak nicht in die Verbandsliga aufgestiegen ist - und wie er erst mit Rot-Weiss Essen und dann mit dem BVL Remscheid zweimal am Aufstieg in die zweite Liga gescheitert war. "Tut mir leid", sagt Neuhaus lakonisch zu dieser doch nicht makellosen Biografie.

"Von der Kreisliga in die Bundesliga - nur die Verbandsliga fehlt mir"

Das macht sie aber nur facettenreicher, diese Geschichte eines bodenständigen Ruhrpottmenschen, der bei seinem Heimatklub Hattingen in der Kreisliga anfing, nebenher eine Ausbildung zum Elektriker machte und erst nach langem Grübeln den Beruf des Fußballprofis dem eines Berufssoldaten vorzog. Ausgangs der Achtzigerjahre wollte Neuhaus seine aktive Karriere bereits beenden, ehe ihn der Trainer Hannes Bongartz zur SG Wattenscheid holte. Mit 30 debütierte Neuhaus 1990 in der Bundesliga, bis 1994 bestritt er dort 102 Spiele. Nun kehrt er am Samstag gegen Frankfurt als Trainer in die Bundesliga zurück - mit 60! "Eigentlich ging es immer nur nach oben", sagt Neuhaus leicht ironisch über seine vier Jahrzehnte umspannende Karriere. Dann lässt er seine Hand wie ein Flugzeug nach dem Start sachte steigen: "Von der Kreisliga in die Bundesliga - nur die Verbandsliga fehlt mir."

Bleibt die Anschlussfrage: Das Bundesligadebüt als Spieler mit 30? Das Debüt als Trainer mit 60? Was kommt da, wenn er 90 Jahre alt sein wird? "Champions League", sagt Neuhaus trocken.

Bielefeld, nach dem achten Bundesliga-Aufstieg der Klubgeschichte erstmals seit 2009 wieder erstklassig, könnte sich also auf eine Champions-League 2050/51 freuen, allerdings sagt der um keine Pointe verlegene Trainer dann doch nicht, dass er die Königsklasse mit der Arminia anstrebt. Neuhaus ist viel herumgekommen. Er war Trainer bei Wattenscheid II und beim VfB Hüls, ehe Michael Skibbe ihn 1998 als Assistent zu Borussia Dortmund holte; die beiden hatten sich im Trainerlehrgang kennengelernt. "Vom Viertligisten Hüls zum Weltpokalsieger BVB", sagt Neuhaus noch 22 Jahre später stolz. Er blieb sogar länger in Dortmund als Skibbe, war danach Assistent von Bernd Krauss, Udo Lattek und Matthias Sammer - und wurde als dessen Co-Trainer 2002 Meister.

Die Jahre beim BVB haben ihn eher in Sachen Menschenführung als fußballerisch geprägt; taktisch hatte Neuhaus schon immer konkrete Vorstellungen: "Offensiv, hohes Pressing, Kombinationsfußball, Dominanz." In Dortmund lernte er dazu, wie man als Coach damit umgeht, dass "eigentlich immer und in jedem Klub mehr als die Hälfte der Spieler unzufrieden sind, weil ja immer nur elf spielen dürfen". Beim BVB damals "gab es 35 Fußballer, die alle schon alles gewonnen hatten, und dann sprangen mit Skibbe und mir zwei völlig unbekannte Trainer ins Haifischbecken", erinnert sich Neuhaus. Das Schwierigste am Trainerjob sei, solch eine Gruppe "zu händeln". Neuhaus weiß: "90 Prozent der Trainerarbeit sind Menschenführung."

In der Corona-Pause von März bis Mai, als die Arminia eingefrorener Zweitliga-Tabellenführer war und die Spieler in der Zwangspause ins Zweifeln hätten kommen können, hat Neuhaus vor allem daran gearbeitet, die Laune hochzuhalten. Er ließ im Training Schüttelreime und Zungenbrecher aufsagen, die Spieler bogen sich vor Lachen. Als die Saison Mitte Mai weiterging, verlor Bielefeld kein einziges der neun restlichen Spiele, gewann vier und stieg als Zweitliga-Meister in die Bundesliga auf. "Ohne Spaß kommst du nicht an die 100 Prozent", sagt Neuhaus.

Viel Spaß wird nötig sein, damit die Arminia den Klassenverbleib schafft. Der Lizenzspieler-Etat beträgt etwa 25 Millionen Euro und ist der niedrigste der Liga, auch in puncto Oberhaus-Erfahrung geht Bielefeld vom letzten Platz aus ins Rennen. Ergänzungsstürmer Sven Schipplock hat 149 Mal in der ersten Liga gespielt, Zugang Sergio Cordova 62 Mal, Marcel Hartel und Reinhold Yabo gelegentlich. Alle anderen waren noch nie in der Bundesliga. "Klar, Erfahrung hilft", so Neuhaus, "aber es ist kein Wunschkonzert, und die Zeiten sind durch Corona noch schwieriger geworden."

So wird sich zeigen müssen, wie gut die Bielefelder auch als Erstklässler den Lieblingsfußball ihres Trainers umsetzen können - und wie gut die Laune im Training ist. "Im Abstiegskampf macht man vielleicht was anderes als Zungenbrecher", witzelt Neuhaus. Auch in dieser Woche wird nicht so ganz viel herumgealbert nach der Blamage in Essen. Einschüchtern lassen sich die Arminen nicht. Ihr Vereinsmotto lautet: "Stur, hartnäckig, kämpferisch."

© SZ vom 17.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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