Argentinien:Mehr als nur ein Punkt

Lesezeit: 3 min

Starker Rückhalt: Argentiniens Torfrau Vanina Correa bei ihrer Elfmeterparade gegen die Engländerin Nikita Parris. (Foto: Bernadett Szabo/Reuters)

Das Achtelfinale ist nach einem Unentschieden und einer Niederlage in weite Ferne gerückt, ein anderes Ziel hat der Außenseiter schon erreicht: Aufmerksamkeit für den Kampf um Anerkennung.

Von Anna Dreher

Vanina Correa flog, und sie erreichte ihr Ziel. Die englische Nationalspielerin Nikita Parris hatte den Elfmeter stark aufs Tor geschossen, platziert in die Ecke, es wäre das 1:0 für England gegen Argentinien gewesen. Aber Correa war stärker. Sie lenkte den Ball mit der linken Hand zum Pfosten, weg von ihrem Tor. Als die Situation geklärt war, sprang sie energisch jubelnd nach oben: Noch war die nächste Sensation für die argentinische Fußballnationalmannschaft der Frauen bei dieser Weltmeisterschaft möglich.

In dem Spiel am Freitagabend, das die Engländerinnen dominierten, musste Torhüterin Correa noch einige Male fliegen. Es lag an ihr, dass ein Punkt für Argentinien im zweiten Gruppenspiel noch so lange möglich war. Erst nach einem Konter, den Jody Tailor in der 61. Minute vollendete, war sie chancenlos. "Ihre Torhüterin war unglaublich", sagte Englands Trainer Phil Neville später der BBC. "Was heute zu sehen war, ist eine unglaubliche Torhüterleistung gewesen."

Ein Teil der Mannschaft streikte für zehn Dollar Aufwandsentschädigung

Als Gruppendritter mit einem Punkt wird es für Argentinien sehr schwer werden, es bis ins Achtelfinale zu schaffen. Aber schon dieser eine Punkt nach einem 0:0 gegen Japan ist für die Fußballerinnen der Albiceleste ein großer Erfolg und eine Motivation in einem Kampf, den sie abseits des Platzes führen.

Während andere Nationalteams wie die USA, Frankreich oder Deutschland von ihrem Verband unterstützt werden, gehört das argentinische zu jenen, die darum noch ganz grundsätzlich kämpfen müssen. Die wenigsten Spielerinnen sind Profis. Argentinien liebt diesen Sport, aber Fußball ist Männersache, so sehen das im vom Machismo geprägten Land in Südamerika viele. Die Frauen bekommen das zu spüren. Sie verdienen als Fußballerinnen kein Gehalt, die Infrastruktur ist oft mangelhaft, häufig wurden Reisekosten nicht übernommen. 2017 beispielsweise streikte ein Teil der Nationalmannschaft, weil der Verband den Spielerinnen eine Aufwandsentschädigung für ein Länderspiel nicht auszahlen wollte - es ging um zehn Dollar.

Weil sie auf all diese Missstände aufmerksam machen und um eine Professionalisierung kämpfen will, hat Macarena Sánchez vor ein paar Monaten gegen den argentinischen Fußballverband (AFA) geklagt. "Es ist nicht leicht, als erste Frau rechtliche Schritte gegen den argentinischen Fußballverband einzuleiten", sagte Sanchéz, die lange für UAI Urquiza spielte und nicht im WM-Kader steht. "Ich musste eine schwere Bürde tragen, aber das gemeinsame Ziel hat gewonnen. Es hat gewonnen, weil ich viele Mädchen sehen möchte, die es in Zukunft genießen können, professionell zu sein." Inzwischen hat der Verband bekannt gegeben, die Frauenliga ab der kommenden Saison professionalisieren zu wollen, auch in Form von Gehältern.

Torhüterin Correa wurde Mutter und pausierte sechs Jahre lang

Es dürfte helfen, künftig bei Weltmeisterschaften besser abzuschneiden. Dass die Mannschaft in Frankreich zum Auftakt gegen Japan, 2011 Weltmeister und 2015 Finalist, den ersten WM-Punkt in Argentiniens Geschichte holte, wurde gefeiert wie ein Sieg. "Wir kommen aus einem Land, in dem Fußball mit Herz gespielt wird, und heute haben wir das getan", sagte Mittelfeldspielerin Ruth Bravo. Von der Bank sprangen nach dem Schlusspfiff Spielerinnen aufs Feld und rissen Torhüterin Correa zu Boden. Auch gegen Japan war sie die entscheidende Spielerin. Und auch sie hat eine besondere Geschichte hinter sich.

2006 hatte Correa mit Argentinien die Copa America gewonnen. 2003 und 2007 stand sie bei Weltmeisterschaften im Tor, 2008 bei den Olympischen Spielen. Wenig später aber setzte sie für sechs Jahre in der Nationalmannschaft aus. Correa hatte wie so viele andere Argentinierinnen als Amateurin Fußball gespielt, in der Verwaltung einer Gemeinde gearbeitet - und sich nach der Geburt ihrer Zwillinge auch noch um ihre Kinder gekümmert. Erst als sie Nationaltrainer Carlos Borrello vor zwei Jahren überredete zurückzukehren, stand Correa auch wieder für die Auswahl im Tor. Mit 35 Jahren ist sie nun die zweitälteste Spielerin nach Mariela Coronel, 37, und eine wichtige Stütze im Team. "Vani ist ein Genie, wir haben viel Vertrauen in sie", sagte Aldana Cometti, die beim FC Sevilla in der spanischen Liga unter Vertrag steht.

Die Paraden von Correa, die spielerische Leistung des Teams um Kapitänin Estefania Banini, all das hat die WM 2019 für Argentiniens Nationalmannschaft der Frauen zur bisher erfolgreichsten gemacht. Die Vorrundenspiele 2003 und 2007 liefen katastrophal: 15 und 18 Gegentore. Die bisherige Bilanz bei dieser WM steht also für eine positive Entwicklung. Vor zwölf Jahren hatte Argentinien unter anderem gegen Deutschland verloren, mit 0:11, es war damals die höchste Niederlage der WM-Historie. Seitdem Thailand am Dienstag 0:13 gegen die USA verlor, ist Argentinien diesen Negativrekord schon mal los.

© SZ vom 16.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: