Argentinien:Krawall in der Pralinenschachtel

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Rauch über Buenos Aires: Die Bombonera, das Stadion von Boca Juniors, während des Superclásico gegen River Plate am Sonntag. (Foto: Adrian Farias/Getty Images)

Im Hinspiel des Superclásico trennen sich die Boca Juniors und River Plate 2:2.

Von Peter Burghardt

Man hält es ohne Beruhigungsmittel ja kaum aus. Boca gegen River, River gegen Boca. Argentiniens Superclásico, das Spiel der Spiele als doppeltes Finale der Copa Libertadores, Südamerikas Champions League. Mit einem Hinspiel in der Bombonera, das am Sonntagabend 2:2 endete und fürs Rückspiel am 24. November im Stadion Monumental von River Plate alles, wirklich alles, offen lässt, weil Auswärtstore in diesem ungeschminkten Wettbewerb bei Torgleichheit nicht doppelt verrechnet werden. Dazu dieser schreckliche Unfall. Und Regen, der Buenos Aires flutete und dieses argentinische Match des Jahrhunderts um 24 Stunden verzögerte. Wem das alles zu sehr an die Nerven ging, dem war Radio Colonia zu empfehlen.

Radio Colonia sendet aus Colonia de Sacramento vom anderen Ufer des Río de la Plata. Aus einem denkmalgeschützten Kleinod in Uruguay, so ziemlich das Gegenteil der fulminanten, zu Dramen stets bereiten Zentrale Argentiniens. Radio Colonia also übertrug Teil eins des Superclásico mit meditativer Zen-Musik. Der Krawall vom Tatort wurde herzschonend herausgefiltert. Die Kommentatoren berichteten mit unaufgeregt kontemplativem Sound, es muss sie übermenschliche Beherrschung gekostet haben. Sie schilderten selbst die Tore blutdrucksenkend gefasst, vier Tore, für Argentiniens Fußball eine außerordentliche Menge. Im Studio assistierte ein Kardiologe. Superclásico für Herzkranke.

In der Arena überschlugen sich die Stimmen natürlich. Die vollgestopfte Bombonera, die Pralinenschachtel genannte Betonschüssel im Stadtteil La Boca von Buenos Aires, bebte. Eigentlich hätte schon am Samstag gespielt werden sollen, aber es hatte sich der Himmel geöffnet und dieses frühere Wohnzimmer der Hand Gottes unter Wasser gesetzt. Kein Wunder, die Atmosphäre ist ja seit Wochen schwerst aufgeladen, Argentinien spricht trotz Wirtschaftskrise und Korruptionsskandalen fast ausschließlich vom Superclásico. Zumal der unglückliche Staatschef Mauricio Macri, bald Gastgeber beim Welttreffen G 20, seine Karriere nicht zufällig als Präsident von Boca Juniors begonnen hatte.

Es heißt, orthodoxe jüdische Fans seien extra nach Spanien geflogen, um dem Sabbat auszuweichen und mit Hilfe der Zeitverschiebung nach Mitternacht live dabei sein zu können, aber gespielt wurde angesichts des Unwetters dann eh erst am Sonntag. Vier Boca-Anhänger starben auf der Straße, als sie aus der fernen Provinz Chubut anreisten. Deshalb ging dem Anpfiff eine Schweigeminute voraus, ehe es sehr, sehr laut wurde.

Boca Juniors führte zweimal, durch Treffer von Ramón Ábila, der kurioserweise den Kosenamen Wanchope trägt, zu Ehren des Costa Ricaners, und durch Darío Benedetto. River Plate glich durch Lucas Pratto und Carlos Izquierdos zweimal aus. River Plates Torwart Franco Armani, bei der WM kurz Nationalkeeper, verhinderte Bocas Sieg, Rivers gesperrter Trainer Marcelo Gallardo durfte gar nicht ins Stadion.

Auf dem Rasen versammeln sich keine Weltgrößen mehr wie früher, als bei Boca Maradona zauberte, oder ganz früher, als bei River Alfredo di Stefano trickste. Bei River verteidigte aufmerksam der ehemalige Nürnberger Javier Pinola, 35, der Star ist Gonzalo Martínez, 25, die Nummer 10. Bocas Trainer Guillermo Barros Schelotto wechselte Carlos Tevez ein und ließ Mauro Zárate neben Fernando Gago auf der Bank sitzen, Angreifer Christian Pavón musste verletzt vom Platz. Boca gegen River ist kein europäischer Hochgeschwindigkeitskunstfußball wie aus der Playstation, aber es ist das ultimative Duell. In knapp 14 Tagen wird es außer ewigem Ruhm ewige Flüche geben, leicht gedämpft allenfalls bei Radio Colonia.

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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