Angelique Kerber:Favoritin wider Willen

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„Ich brauche nicht mehr viele Spiele, um meinen Rhythmus zu finden“: Die Deutsche Angelique Kerber steht bei ihrem 50. Grand-Slam-Turnier in der dritten Runde. (Foto: Seth Wenig/AP)

Die frühere New-York-Gewinnerin siegt im deutschen Duell mit Anna-Lena Friedsam und steht bei ihrem 50. Grand-Slam-Turnier in der dritten Runde. Auch Jan-Lennard Struff und Alexander Zverev setzen sich durch.

Von Jürgen Schmieder, New York/Los Angeles

"Nein, nein, nein, nein", rief Angelique Kerber. Sie schüttelte den Kopf, wedelte mit den Armen und verzog das Gesicht, als hätte ihr jemand etwas angeboten, das sie auf gar keinen Fall essen will: "Ich bin auf gar keinen Fall eine der Favoritinnen hier!" Nachdem das geklärt ist: Kerber ist keine Favoritin bei diesen US Open, und genau deshalb kann sie dieses Turnier gewinnen - ein Beweis dafür ist die Partie in der zweiten Runde gegen Anna-Lena Friedsam gewesen, die sie am Mittwoch 6:3, 7:6 (6) bezwang. Es gibt ein paar Schläge im Repertoire der Siegerin von 2016, an denen sich ablesen lässt, wie es um Form und Selbstbewusstsein bestellt ist: wenn sie ihre Vorhand die Linie entlang ins Feld knallt. Wenn sie Ballwechsel dominiert und Slice, Stoppbälle, Lobs einstreut. Wenn sie den zweiten Aufschlag ein wenig schneller (also mit mehr als 120 km/h) und näher an die Linien serviert, wie es Trainer Torben Beltz immer wieder fordert. Das ist bedeutsam, weil die US Open diesmal eine eigenartige Veranstaltung sind; viele Akteure haben bereits gesagt, dass sie sich angesichts der Einschränkungen wegen der Pandemie nicht sehr wohl fühlen und so langsam Lagerkoller bekommen würden. Gut möglich, dass nicht die mit dem härtesten Aufschlag und der präzisesten Rückhand favorisiert sind, sondern die, die mit den Bedingungen gleichmütig umgehen - eine wie Kerber also, die in New York ihr 50. Grand-Slam-Turnier absolviert: "Ich nehme es hin, wie es eben ist, und ich mache das Beste aus dieser Situation."

Kerber ist eine der fittesten Spielerinnen im Feld, es macht ihr nichts aus, sich in der Spätsommer-Schwüle von New York von den Gegnerinnen in die Ecken jagen zu lassen und Ballwechsel geduldig zu Ende zu spielen. Gegen Friedsam kam sie im ersten Satz mal von 0:40 zurück und gewann das Spiel, ohne auch nur einen Punkt selbst dominieren zu müssen. Kurz darauf jagte sie ihre Gegnerin über den Platz und beendete die Punkte jeweils mit kraftvoller Longline-Vorhand. Es ist die Möglichkeit zur Variation, die sie zu einer unangenehmen, schwer zu besiegenden Gegnerin macht.

Das führt zu den beiden deutschen Männern, die nach Kerber ihre Zweitrunden-Partien absolvierten. Jan-Lennard Struff agierte gegen Michael Mmoh (USA) souverän und leistete sich kaum Fehler, auch er ist in dieser Verfassung ein äußerst unangenehmer Gegner. Nach dem 6:2, 6:2, 7:5 wartet nun wohl der in dieser Saison noch unbesiegte Novak Djokovic aus Serbien (dessen Partie gegen den Briten Kyle Edmund war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet). Alexander Zverev tat sich gegen Brandon Nakashima (USA) zunächst schwer, konnte sich aber auf seinen ersten Aufschlag (drei Viertel aller Versuche im Feld, 84 Prozent der Punkte gewann er) verlassen: 7:5, 6:7 (8), 6:3, 6:1. Auf die Frage, ob er sich - außerhalb von Djokovic freilich - zu den Favoriten zählen würde, muss Zverev nicht "nein, nein, nein" rufen. Er darf gelassen nicken.

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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