American Football:Wie im wilden Westen

Lesezeit: 3 min

Durch den Streik in der National Football League sind einige Regeln außer Kraft gesetzt - die Akteure können machen, was sie wollen: Sie boxen, sie fuchteln mit Waffen herum oder könnten dopen.

Jürgen Schmieder

Es war ein kurzer Kampf, den Tom Zbikowski in Las Vegas ablieferte. Mit einem kräftigen linken Haken schickte er seinen Gegner Richard Bryant zu Boden und gewann durch Niederschlag in der ersten Runde. Es war der dritte Sieg im dritten Profikampf, man könnte Zbikowski nun ein schöne Karriere prognostizieren, wenn er denn überhaupt Boxer wäre. Er ist vielmehr Footballspieler, der nur deshalb in den Ring steigt, um sich während des Arbeitskampfes zwischen der National Football League (NFL) und ihren Spielern fit zu halten und ein bisschen Spaß zu haben.

Footballspieler auf Abwegen: Tommy Zbikowski nach seinem Sieg gegen Richard Bryant. (Foto: AFP)

Normalerweise wäre zu erwarten, dass der Arbeitgeber, der NFL-Klub Baltimore Ravens, seinem Angestellten ein derart gefährliches Hobby verbietet, so wie viele Sportvereine ihren Akteuren durch Klauseln in den Verträgen bestimmte Tätigkeiten untersagen. Durch die Aussperrung der Spieler jedoch gelten diese Klauseln nicht, statt Ordnung herrscht nun wilder Westen. Spieler dürfen mit Beratern ohne Lizenz verhandeln, sie dürfen sich ungestraft danebenbenehmen - und sie dürfen dopen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Die Aussperrung gibt es, weil sich Liga und Spielergewerkschaft nicht auf einen neuen Manteltarifvertrag einigen konnten. Damit ist den Spielern untersagt, das Gelände ihres Vereins zu betreten oder mit Trainern zu sprechen. Der Liga ist untersagt, Kontakt zu den Spielern aufzunehmen oder die Einhaltung der Regeln zu kontrollieren. Und schon herrscht Anarchie.

Das liegt vor allem daran, dass es sich bei der NFL um eine autarke Liga handelt, die sich grundsätzlich selbst reguliert - in den meisten Fällen ist sie Legislative und Exekutive gleichzeitig. Weil fast jeder Footballspieler heutzutage eine Pistole besitzt, legten die Verantwortlichen fest, dass Pistolen in Stadien oder auf dem Gelände eines NFL-Klubs nicht erlaubt seien. "Denkt daran, seid vorsichtig und versteht die Risiken", heißt es im Verhaltenskodex der Liga.

Bislang legte die NFL die Regeln fest, sie führte Tests durch und sie sprach auch die Strafen aus. Für die Zeit der Aussperrung haben die NFL und ihr Commissioner Roger Goodell jedoch keine Kontrolle darüber, was die Spieler so machen.

Wer also die Regenerationszeit nach einer Verletzung verkürzen möchte oder ein paar extra Muskeln benötigt, der kann das jetzt ungestraft durch ein paar Pillen oder Spritzen unterstützen - er muss nur dafür sorgen, dass am ersten Tag nach der Aussperrung nichts mehr davon in seinem Körper zu finden ist.

"Jedes Fehlverhalten wird auf jeden Fall angesprochen werden, wenn die Aussperrung vorbei ist", sagt NFL-Sprecher Brian McCarthy. Nur: Wie soll die NFL ein Fehlverhalten ansprechen, wenn sie es nicht nachweisen kann? "Wenn Spieler wissen, dass sie nicht getestet werden, ist die Versuchung größer, eine Dummheit zu begehen", sagt Gil Brandt, ehemals Vizepräsident der Dallas Cowboys.

Die Spieler wissen, dass die Aussperrung noch Monate dauern wird - und dass in dieser Zeit per Definition keine Kontrollen stattfinden werden. Es ist in etwa so, als würden alle Radfahrer wissen, dass ein halbes Jahr vor Beginn der Tour de France keine einzige Dopingkontrolle auf sie wartet. Natürlich könnte man nun hoffen, dass kein Akteur eine Dummheit begeht - aber man könnte auch hoffen, dass ein Kind nicht die Schokolade aufisst, wenn man es eine Stunde lang unbeobachtet im Wohnzimmer sitzen lässt.

Dass die Spieler sich relativ schnell daneben benehmen, wenn es keine Regeln gibt, bewies Chris Cook von den Minnesota Vikins nur ein paar Tage nach Beginn der Aussperrung. Bei einer Auseinandersetzung mit einem Nachbarn in Lynchburg wedelte der Cornerback mit einer Pistole herum und wurde verhaftet. Er muss jedoch nicht bei den Vikings oder der Liga vorsprechen, weil während der Aussperrung jeder Kontakt zwischen Spielern und Verantwortlichen verboten ist. "Die Vikings haben bestimmt davon gehört, aber ich wollte mir nicht das Wochenende verderben lassen", sagte Cook deshalb lapidar.

Freilich geht es bei den Verhandlungen der NFL mit ihren Spielern um Millionen und Milliarden. Es geht aber auch darum, das Image dieses Sports während der Aussperrung nicht allzu sehr zu beschädigen.

Manche Akteure wedeln derzeit mit Pistolen herum, andere beleidigen im volltrunkenen Zustand Polizisten. Wieder andere könnten die Zeit der Aussperrung, die noch Monate dauern könnte, dazu nutzen, ihren Körper mit unerlaubten Substanzen vollzupumpen. Bei diesen Aussichten ist einer wie Zbikowski, der sich nur im Boxring prügelt, ein vorbildlicher Sportsmann.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: