American Football:Man sagte ihm, Football sei nur was für Leute mit zwei Händen

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  • Die Seattle Seahawks draften Shaquem Griffin, der nun der erste einhändige Football-Spieler der NFL werden könnte.
  • Griffin, dem mit vier seine linke Hand amputiert wurde, hat sich im Football gegen viele Widerstände durchsetzen müssen.
  • Sein Durchbruch gelang ihm an der University of Central Florida - und mit starken Werten bei der NFL Combine.

Von Mario Jonas Ködel

Später, als er sich wieder gefasst hatte, sprach Shaquem Griffin nochmal über den Anruf, der ihn in die NFL gebracht hatte. John Schneider, Manager der Seattle Seahawks, war am Telefon, und "das war der Anruf, auf den ich mein ganzes Leben gewartet habe", so zitierten US-Medien Griffin. Er sagte: "Ich bin danach buchstäblich zusammengebrochen." Er sagte: "Ich konnte nicht mehr atmen." Er sagte: "Ich konnte nicht mehr sprechen, mir fehlten einfach die Worte."

Von Donnerstag bis Samstag haben die Teams der National Football League (NFL) mal wieder Talente ausgewählt, NFL Draft nennt sich das. Es ist ein System, das den meisten Europäern nicht allzu geläufig ist, sieben Runden, jeweils 32 Spieler, so wählen die Klubs aus. Es gab die Geschichte von Baker Mayfield, der als erster Quarterback gedraftet wurde. Es gab die - aus deutscher Sicht nicht uninteressante - Geschichte von Equanimeous St. Brown, der eine deutsche Mutter hat und nun ebenfalls in der NFL spielen könnte. Und dann gab es die Geschichte von Shaquem Griffin, 22. Über diese Geschichte redeten die Leute nicht, weil ihn die Seattle Seahawks als insgesamt 141. Spieler wählten. Sondern weil er der erste einhändige Profi der NFL werden könnte - und weil er auf dem Weg dorthin einigen Widerständen begegnet ist. Dazu ist er mit seiner Geschichte zum Vorbild für viele geworden, die benachteiligt sind.

Griffin war vier, als Ärzte seine Hand amputierten. Die Los Angeles Times hat kürzlich mit Griffins Mutter über seine ersten Lebensjahre gesprochen. Er ist mit dem Amniotisches-Band-Syndrom auf die Welt gekommen, seine linke Hand wies eine Fehlbildung auf. Er litt bei Druck oder Berührung unter Schmerzen der Hand. Und dann, als er vier war, fand ihn seine Mutter in der Küche, Griffin drohte, sich seine Hand mit einem Messer zu amputieren. Am nächsten Tag wurde er im Krankenhaus operiert, seither lebt er mit nur einer Hand. Vom Football hielt ihn das aber nicht fern: Am Tag nach der Operation, so hat es seine Mutter weiter erzählt, fand sie ihn draußen mit einem Football in der Hand und einem Verband, von dem Blut herunter tropfte.

Im Vollkontaktsport American Football ist es ein Nachteil, nur eine Hand zu haben. Eine Karriere als Offensivspieler ist undenkbar in einem Sport, in dem es darum geht, Bälle zu fangen und festzuhalten. Doch in der Verteidigung ist es möglich, auch wenn viele zunächst zweifelten, auch wenn er Ablehnung erfuhr. Griffin hat diese Zweifel, die Ablehnung kürzlich noch einmal beschrieben, in einem Beitrag für das Portal The Player's Tribune. Er erinnerte sich an eine Episode, die ihm als Achtjähriger widerfuhr. Da sagte der Trainer eines gegnerischen Teams, Griffin solle gar nicht Football spielen dürfen. Weil Football etwas für Spieler mit zwei Händen sei.

Griffin will mehr sein als Teil einer Wohlfühlgeschichte

Griffin hat das Gegenteil bewiesen. Sein Durchbruch gelang ihm an der University of Central Florida. Sie bot ihm wie seinem Zwillingsbruder Shaquill ein Stipendium an. Shaquill Griffin sagte anderen Universitäten ab, um nach der gemeinsamen Zeit in der Schulmannschaft auch an der Uni mit seinem Bruder im selben Team spielen zu können. Doch während Shaquill von Anfang an Einsätze bekam, musste sich Shaquem gedulden, er spielte drittklassig, erst als der Trainer wechselte, lief es besser für ihn. Während der Saison 2016 spielte er regelmäßig.

Griffin spielt auf der Position des "Linebackers", er ist Verteidiger. Seine primäre Aufgabe ist, das Laufspiel des Gegners zu stoppen. Es ist zuweilen eine ruppige Angelegenheit, etwas für die ganz harten Spieler. Griffin kann so jemand sein, das zeigen seine Auszeichnungen. 2016 wurde er Defensivspieler des Jahres in der American Athletic Conference, höchstes College-Niveau. Zwei Mal kam er in die Mannschaft das Jahres.

Wer verstehen möchte, was den Footballspieler Griffin ausmacht, braucht sich nur einige Szenen von ihm anzuschauen. Etwa die aus dem November, bei einem Spiel gegen die Temple Owls aus Philadelphia. Mehrfach versuchte Griffin, sich an der Angriffslinie der Owls vorbeizuschlagen, und immer wieder gelang ihm das. Bei einem weiteren Angriff wurde er nach außen abgedrängt, er musste sich gegen einen Passempfänger verteidigen. In einer solchen Situation wäre es bereits ein Erfolg, den Receiver des Gegners am Fangen des Balls zu hindern. Doch Griffin wollte mehr, und seine Mühe wurde belohnt: Der Ball landete in seiner Hand. Interception nennen sie das beim Football.

Nachdem er seine Mannschaft zu einer Saison ohne Niederlage führte, erhielt er schließlich eine Einladung zur NFL Combine - einer Art Vermessung der Football-Spieler. Er beeindruckte mit starken Werten beim Bankdrücken (mit Prothese) und im 40-Yard-Sprint. Auch mit seinen Football-Fähigkeiten konnte er auf sich aufmerksam machen - und wurde schließlich von Seattle verpflichtet. Es ist das Team, für das auch sein Bruder spielt. Experten der US-Medien glauben, dass er das Team verstärken kann. Und auch Griffin selbst sagte nach dem Draft: "Ich möchte nicht der Typ sein, der nur eine Wohlfühlgeschichte ist."

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