Fazit der alpinen Ski-WM:Corona-Blase nach italienischer Art

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Luftiges Gemälde: Die Akrobatik-Einheit der italienischen Luftwaffe pinselt vor dem Start der Männer-Abfahrt in Cortina d'Ampezzo die italienischen Nationalfarben in den Himmel. (Foto: Andreas Solaro/AFP)

Erwartbare und weniger erwartbare Doppel-Weltmeister, 17-Jährige Bronze-Gewinnerinnen und eine spezielle Organisation. Die alpine Ski-WM wird nicht nur dank hochklassiger Darbietungen auf der Piste in Erinnerung bleiben.

Von Johannes Knuth, Cortina d'Ampezzo

Eine alte Sportreporterweisheit besagt: Bloß weil man über Weltmeisterschaften in Italien berichtet, heißt das noch lange nicht, dass man plötzlich Italienisch sprechen kann. Das ist in Cortina d'Ampezzo aber auch gar nicht nötig, die touristengestählten Bedienungen verstehen problemlos, wenn man "Würstel con patate fritte and a non-alcoholic beer" bestellt. Andererseits schadet ein wenig italienischer Sprach-Kolorit ja nie, dabei schwingt immer auch so eine Entschleunigung mit, die vor allem den Gästen aus Deutschland gerne abgeht. Und diese Lässigkeit war durchaus nicht unwichtig bei diesen 46. alpinen Ski-Titelkämpfen unter speziellen Vorzeichen.

L'Organizzazione

Was hatten sie diese WM nicht mit Erwartungen bepackt: Einheimische hofften auf Investitionen für ihren Ort, der an manchen Stellen wie eingefroren wirkt aus jener Epoche, in der Roger Moore hier als James Bond durch den Eiskanal jagte. Politiker sprachen von der "Wiedergeburt einer Nation", beim ersten Großereignis in Italien seit Anbruch der Corona-Pandemie. Viele der 6000 Einwohner und rund 3000 WM-Mitwirkenden fragten sich, wie man sich in einem derart verwinkelten Ort nicht nahekommen sollte. Und dann? Die Organisation verlief fast tadellos. Fiebermessungen und verpflichtende Gänge durch eine Ganzkörper-Desinfektionsmaschine wurden nach wenigen Tagen eingestellt, viele WM-Gäste vermischten sich mit dem Treiben im Ortskern, wo Feriengäste in den Bars saßen und Faschingsumzüge sich über den Corso Italia schoben. Zu Störfällen kam es zunächst trotzdem nicht, alle Beteiligten wurden weiter rigoros getestet, die Behörden sprachen von 20 000 Proben während des Events - und vier aktenkundigen Fällen bis kurz vor WM-Ende. Ob das nicht auch ein Weg durch eine Pandemie sein könnte: etwas mehr Eigenverantwortung statt angsterfülltem Starren auf jeden Ausschlag in der Fallstatistik?

Sauber auf der Kante: Der Österreicher Vincent Kriechmayr stellt auch bei der WM seine technische Hochbegabung unter Beweis. (Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)

Il Vince

Die Pisten in Cortina trieben viele Fahrer an ihre Grenzen, aber das führte diesmal in erster Linie zu beachtlichen Darbietungen, von Favoriten wie Außenseitern. Von Lara Gut-Behrami hatte man zwei WM-Titel durchaus noch erwartet (Super-G, Riesenslalom), von Vincent Kriechmayr (Abfahrt, Super-G), Mathieu Faivre (Parallel, Riesenslalom), Sebastian Foss-Solevaag (Slalom, Team-Event) und Katharina Liensberger (Parallel, Slalom) schon weniger. Vor allem Kriechmayrs Oeuvre erstaunte, er firmiert seit Jahren als Edeltechniker, hatte unter der Last der Erwartungen aber oft geächzt. Seine Karriere war nie von Selbstverständlichkeiten geprägt, die Familie führte in Oberösterreich einen Bauernhof, die Mutter lehrte Kunstgeschichte (und benannte Vincent nach dem Maler van Gogh), der Vater arbeitete im Winter als Skilehrer, und weil viel Geld in die Karriere des Sohnes floss, mussten die Geschwister auf einiges verzichten. In Cortina zeichnete Kriechmayr sein eigenes Meisterwerk in den Schnee, mit dem goldenen WM-Doppel aus Super-G und Abfahrt, als erst dritter Schnellfahrer nach Hermann Maier und Bode Miller. Vor allem am tückischen Vertigine-Sprung stellte Kriechmayr am besten die Skier an, um nicht aus dem Kurs zu schlingern. "Ich glaube, ich habe nie zuvor in einem Rennen einen 200-Meter-Drift gemacht", sagte er. Auch keine alltägliche Abfahrer-Erfahrung: Wer bremst, gewinnt!

Siegerjubel in Corona-Zeiten: Der Norweger Sebastian Foss-Solevaag zelebriert seine siegbringende Fahrt im WM-Slalom. (Foto: Andreas Solaro/AFP)

La Norvegia

Kaum eine Alpinauswahl war in diesem Winter gebeutelter als die Norweger, gemessen an ihrer kleinen Belegschaft. Aleksander Aamodt Kilde, Adrian Smiseth Sejersted, Lucas Braathen and Atle Lie McGrath hatten sich vor der WM verletzt entschuldigt, die sonst so starken Speed-Könner schickten nur Kjetil Jansrud und einen gewissen Henrik Roa, 25, an den Start. "Da sieht man, wie schwierig es ist, wenn sie auf einmal kein Kollektiv mehr sind", sagte der deutsche Cheftrainer Christian Schwaiger: "Die haben immer zusammengehalten, miteinander die Strecken besichtigt, und der Aksel war ihr Leitwolf", der mittlerweile pensionierte Aksel Lund Svindal also. "Es fühlt sich anders im Team an", gestand Jansrud in Cortina, der nach einem zähen Winter Achter in der Abfahrt wurde. Die zweite WM-Woche brachte etwas Linderung, im Team-Event gewannen die Norweger sogar Gold, angeführt von Sebastian Foss-Solevaag. Der stand in all den Jahren oft im Schatten der erfolgreichen Kollegen, seit diesem Winter ist der 29-Jährige nun einer der besten Slalompiloten. Er gewann in Flachau zuletzt seinen ersten Weltcup und am Sonntag den WM-Slalom, als erster Norweger seit Tom Stiansen 1997. Es gibt schlechtere Zeitpunkte für einen Durchbruch.

Goldener Zuwachs: Marta Bassino freundet sich mit ihrer Goldmedaille an, die sie für ihren Sieg im Parallel-Einzelrennen erhalten hat. (Foto: Johann Groder/Eibner/Imago)

La Squadra Di Casa

Das Rahmenprogramm, auch das musste man den Gastgebern lassen, war selbst ohne Publikum schmissig. Mal intonierte eine Blaskapelle Puccinis Nessun Dorma, mal pinselte eine Fliegerstaffel die italienischen Nationalfarben mit Rauchstreifen in den Himmel, die Dolomiten sahen sowieso Tag für Tag hinreißend aus. Die Auftritte der heimischen Athleten hielten da zunächst nicht ganz mit, Dominik Paris wurde Fünfter und Vierter im Super-G sowie in der Abfahrt, Federica Brignone durchlebte eine verkorkste WM, die verletzte Sofia Goggia wurde schwer vermisst. Erst im Parallel-Einzel gewann Marta Bassino Gold, die große Favoritin im Riesenslalom, den sie später als 13. beendete. Ihr Parallel-Titel wurde von viel Drama umweht, Bassino und Katharina Liensberger waren zeitgleich ins Ziel gerauscht, die Jury sprach aber zunächst nur der Italienerin den Titel zu, ehe die österreichische Delegation das Kampfgericht darauf hinwies, dass laut Reglement auch Liensberger der Titel zustand. Das Wirrwarr betrieb nicht gerade Werbung für das neue Parallel-Format, aber das war den Gastgebern wohl egal. Als Luca De Aliprandini im Riesenslalom auch noch Silber gewann, schwollen sogar die Emotionen der sonst so ruhigen Ehrengäste im Zielraum an. Ganz ohne Blaskapelle und Fliegerstaffel.

Zielstrebig und erfolgreich: Emma Aicher, 17, gewinnt bei ihrem WM-Debüt gleich die Bronzemedaille mit dem deutschen Team. (Foto: Patrick Steiner/Gepa/Imago)

La Emma

Vier Medaillen, das wussten sie im Deutschen Skiverband (DSV) natürlich einzuordnen: Eine schöne Momentaufnahme ist das, mehr nicht, und die zweite WM-Woche hatte auch wieder einige Baustellen freigelegt. Das Technik-Personal drängt sich hinter den wenigen Arrivierten nicht gerade in Mannschaftsstärke auf, Ausnahmen waren Andrea Filser, die nach vielen Verletzungsjahren in Cortina 20. im Slalom und Riesenslalom wurde - und eine 17-Jährige: Emma Aicher vom SC Mahlstetten. Die fuhr bis vor einem Jahr noch für Schweden, dem Land ihrer Mutter, ehe die Familie beschloss, dass die Ausbildungsbedingungen im Land des Vaters günstiger seien. Im DSV schätzen sie die Zielstrebigkeit ihres Zugangs, Aicher besucht mittlerweile das Skigymnasium in Berchtesgaden, zuletzt wurde sie in einem Europacup-Slalom Dritte. In Cortina verpasste sie das Parallel-Finale der besten 16 nur knapp, im Team-Event kam sie in allen K.-o.-Runden zum Zug. "Ich war gar nicht übertrieben nervös", sagte sie später, nach dem Gewinn ihrer ersten Bronzemedaille.

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