Volleyball:Angriff auf einem Bein

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Letzter Aufschlag in Potsdam: Marie Schölzel hat mit Stuttgart am Samstag den ersten Matchball. (Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Marie Schölzel ist Mittelblockerin - eine Position, die im Volleyball wenig Glanz versprüht. Doch genau dort ist die 25-Jährige zu einer Führungsfigur des MTV Stuttgart geworden. Auch weil sie eine außergewöhnliche Technik beherrscht.

Von Sebastian Winter

Marie Schölzel konnte am Mittwochabend wieder mal nicht so gut einschlafen, wie nach so ziemlich jedem Spiel. "Das Adrenalin, die Aufregung", sagt Schölzel. Dabei hatte die 25-jährige Volleyballerin mit ihrem Klub Allianz MTV Stuttgart zuvor ein gar nicht mal so spannendes Spiel hinter sich gebracht - der Gegner SC Potsdam war im dritten Playoff-Finalspiel der Best-of-five-Serie chancenlos. 3:0 (25:18, 25:16, 25:14) gewannen die Stuttgarterinnen vor 2251 Zuschauern in ihrer längst ausverkauften Arena, was einer Demontage gleichkommt. Nach nur 69 Minuten war Potsdam erlöst.

Und Schölzel, die inzwischen 142-malige Nationalspielerin? Sie war wieder mal einer der Schlüssel. Zwölf Punkte, davon zwei Asse und ein Block, trug die gebürtige Berlinerin zum jüngsten Sieg bei. Am Samstag kann Stuttgart im vierten Spiel in Potsdam nun zum dritten Mal nach 2019 und 2022 deutscher Meister werden - bei einer Niederlage kommt es am Montag zum Entscheidungsspiel. "Wir dürfen überhaupt nicht nachlassen", sagt Schölzel, die um die Heimstärke der Potsdamerinnen weiß.

Schölzel war am Mittwoch jedenfalls zweitbeste Scorerin ihres Teams, hinter der so übermächtigen wie schlag- und sprunggewaltigen US-Diagonalspielerin Krystal Rivers, auf die vieles zugeschnitten ist. Aber neben Kapitänin Maria Segura, Außenangreiferin Simone Lee und Blockerin Eline Timmerman trägt gerade die 1,90 Meter lange Berlinerin sehr dazu bei, dass das Stuttgarter Spiel nicht mehr ganz so abhängig ist von Rivers. Und das, obwohl Schölzels Position keinen großen Glanz versprüht.

Mittelblockerinnen sind nicht unbedingt die Königinnen im Volleyball, eher die hochgewachsenen Arbeiterinnen, die viel springen und blocken und antizipieren müssen, quasi als erstes Abwehrbollwerk. Und weil im Gegensatz zu Diagonalspielerinnen wie Rivers, Außenangreiferinnen wie Lee oder Zuspielerinnen eher viele von ihnen auf dem Markt sind, stehen sie auch in der Gehaltsliste schlechter da. Üblicherweise werden nur Liberas schlechter bezahlt. Schölzel hat diese Position aber immer geliebt. Sie wurde dort bei den Talenten des VC Olympia Berlin gefördert, dann in Schwerin unter Trainer Felix Koslowski mit 19 Jahren deutsche Meisterin und mit 20 gleich nochmal. Dass Koslowski zugleich Bundestrainer war, half ihr auch im Nationalteam - bereits mit 17 gab sie dort ihr Debüt.

Zweitbeste Scorerin Stuttgarts: Marie Schölzel überzeugte im dritten Finalspiel. (Foto: Hansjürgen Britsch/Pressefoto Baumann/Imago)

Schölzel hat in all der Zeit ihre große Stärke perfektioniert: den Einbeiner, eine äußerst anspruchsvolle Technik, die es so nur bei den Frauen gibt und die sie selbst "meinen Lieblingsball" nennt. Es ist ein Angriff, bei dem sie nicht wie im Volleyball üblich mit beiden, sondern nur mit einem Bein vor der Zuspielerin abspringt. Hinzu kommt, dass Schölzel in deren Rücken abschlägt und landet - und so den gegnerischen Block aus dem Konzept bringt. "Es gibt nicht viele Einbein-Spezialistinnen", sagt Stuttgarts Sportdirektorin Kim Renkema, "das ist schon eine Waffe. Und Marie ist da europaweit auf sehr hohem Niveau."

Apropos Europa: In der Saison 2021/22 wagte Schölzel den Schritt von Schwerin nach Bergamo, Serie A, Italien, ins gelobte Volleyballland. Doch ganz heimisch wurde sie nicht, es ging gegen den Abstieg, "und in den nicht ganz so guten Teams ist dort auch nicht alles so hammergut, wie man es sich vorstellt". Man solle sie nicht missverstehen, "zum Leben war Italien sehr schön", aber sie war dann auch froh, nach Stuttgart wechseln zu können im vergangenen Sommer. Zu einem Klub, der Ende März mit Schölzel erst im Champions-League-Viertelfinale an Novara scheiterte - einem Topklub aus Italien.

Schölzel bedrückt die Krebserkrankung ihres Trainers vielleicht noch mehr als andere

In Stuttgart erlebt Schölzel seither aber eine auch in mentaler Hinsicht nicht minder anstrengende Saison. Stuttgart verlor die wichtigen Spiele, nach der Supercup-Pleite gegen Potsdam auch das Pokal-Halbfinale gegen den späteren Sieger Schwerin. Vor allem aber kam Schölzel in eine Mannschaft, deren Trainer Tore Aleksandersen unheilbar an Krebs erkrankt ist. Die Playoffs kann er nicht an der Seitenlinie verfolgen. "Ich wusste schon, bevor ich hergekommen bin, dass Tore krank ist. Dass es jetzt so ernst geworden ist, bedrückt natürlich", sagte sie kürzlich dem SWR. Schölzel nimmt all das vielleicht noch mehr mit als andere: Denn am Donnerstag, einen Tag nach dem 3:0-Sieg gegen Potsdam, starb ihre brasilianische Teamkollegin aus Bergamo, Ana Paula Borgo, mit 29 Jahren an Krebs. "Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich mit dir verbringen durfte", schrieb Schölzel auf Instagram.

Ihre eigene Reise geht nach dem Finale weiter, zur Nationalmannschaft, wo im Sommer Nations League, Europameisterschaft und die schwere Olympia-Qualifikation anstehen. Und danach wohl wieder ins Ausland, auch weil Schölzel Stuttgarts Vertragsangebot im Winter nicht gleich angenommen hat, um andere Optionen abzuwarten. "Mir wurde später mitgeteilt, dass mein Platz nun vergeben ist. Ich war überrascht, dass es vorher gar kein Gespräch mehr gegeben hat." Im Nachhinein kann man vielleicht sagen, dass das Timing von beiden Seiten nicht ganz kongruent war.

Auf dem Feld soll das anders sein am Samstag in Potsdam, da ist Schölzel sich sicher. Denn beim Einbeiner ist das richtige Timing alles entscheidend.

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