Aderlass-Prozess:Zwischen "Meilenstein" und "Wahnsinn"

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Urteil im ersten großen Strafverfahren im Hochleistungssport, seit das Antidopinggesetz 2015 in Deutschland in Kraft ist: Der Erfurter Mediziner Mark Schmidt muss wegen seines jahrelangen Blutdoping-Services für vier Jahre und zehn Monate in Haft. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Das Urteil im Doping-Strafprozess gegen den Erfurter Mediziner ruft viel Lob hervor - mit wenigen Ausnahmen. Auch wenn manche Rätsel des Verfahrens wohl ungeklärt bleiben.

Von Johannes Knuth, München

Am Freitagmittag waren die Verteidiger noch an den Kameras und Mikrofonen vorbeigerauscht, die vor dem Münchner Landgericht aufgebaut waren. Sorry, keine Zeit, sein Zug warte nicht, sagte Juri Goldstein, einer der beiden Anwälte des Erfurter Mediziners Mark Schmidt.

Später äußerte sich Goldstein doch noch zur Strafe, die Schmidt für seinen jahrelangen Blutdoping-Service kurz zuvor erhalten hatte: vier Jahre und zehn Monate, ohne Chance auf Bewährung, nur auf Revision, die bestenfalls Verfahrensfehler feststellt. Man habe "ein Exempel" an seinem Mandanten statuiert, klagte Goldstein im Spiegel. Das Münchner Landgericht hatte drei Jahre Berufsverbot obendrauf gesattelt, Schmidt wird wohl auch seine Approbation als Arzt verlieren. "Ein Wahnsinn", befand Goldstein, "was man mit seinem Leben macht."

Andererseits: Das zentrale Problem war dann wohl doch eher, was Schmidt selbst in den vergangenen Jahren mit seinem Leben angestellt hatte. Man konnte ihn freilich schon als Opfer sehen - allerdings als Opfer eines Hochleistungssports, in dem jeder kühl seinen Teil herauspresst. Schmidt hatte nicht nur eine Nachfrage bedient, sondern auch Sportler aktiv angeworben; er hatte damit Geld verdient, in einem Fall war das sogar mit gefährlicher Körperverletzung verbunden. So hatte die Kammer am Freitag zumindest geurteilt, sie war damit in großen Teilen den Anträgen der Staatsanwaltschaft gefolgt.

Systematisches Doping sei kein Kavaliersdelikt, sagt die Nada-Vorsitzende

Völlig falsch lagen Schmidts Verteidiger aber wohl auch nicht. Der Prozess gegen den 42-Jährigen und seine vier Mitangeklagten, die Bewährungs- und Geldstrafen erhielten, war das erste große Strafverfahren im Hochleistungssport, seit das Antidopinggesetz 2015 in Deutschland in Kraft ist. Andrea Gotzmann, die Vorsitzende der nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada), befand dann auch, dass das harte Urteil "ein Meilenstein" sei und "Signalwirkung" habe: Systematisches Doping sei kein Kavaliersdelikt. Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, sprach von einem gelungenen Stresstest für das Gesetz und einem "enorm wichtigen Signal für den Weltsport". Max Hartung, der Präsident des Vereins Athleten Deutschland, betonte die "abschreckende Wirkung" auf Hintermänner, "die mit dem Gedanken spielen, sich zu bereichern und zu betrügen".

Allerdings, betonten manche Beobachter, hatte der Prozess auch bekannte Schwachstellen freigelegt. Dass es zu dem Verfahren überhaupt gekommen war, darf man vor allem dem einstigen Skilangläufer Johannes Dürr verdanken, der über Schmidt ausgepackt hatte; allerdings unter holprigen Umständen. Ansonsten haben die Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaften in München, Freiburg und Zweibrücken in den vergangenen fünf Jahren kaum Fälle aus dem Hochleistungsmetier verhandelt. Man komme an viele Informanten aus der Szene schlicht nicht heran, hatte Kai Gräber, der leitende Ankläger im Münchner Verfahren, schon vor zwei Jahren der SZ gesagt: Die Branche wolle unter sich bleiben, und wenn ein Athlet auspacke, "schießt der sich raus aus der Szene, der ist praktisch als Sportler, als Person erledigt". Gleichzeitig fehlten Ermittlern Anreize, die man redewilligen Athleten bieten könne. Das soll sich allerdings bald ändern, eine Kronzeugenregelung könnte noch in diesem Jahr ins Gesetz gehievt werden.

Weitere Kunden oder Mitwisser? Da schweigt Schmidt sich aus

Und sonst? Hatte sich im Münchner Verfahren schon bewahrheitet, was nicht nur Gräber prognostiziert hatte: dass der Staat nun mal viel tiefgehender ermitteln kann, mit Abhörmethoden und Verhören. Schmidt hatte in den "Aderlass"-Ermittlungen auch deshalb viele Kunden und Details preisgegeben, weil er so im Prozess einen Bonus genoss, das hatte die Richterin am Freitag nochmals betont. Auch wenn sein Kreis von 23 Blutdoping-Kunden, meist alternde Stars und Mittelfeldprofis, die die Anklage zunächst erwähnt hatte, am Ende auf rund ein Dutzend zusammenschnurrte. Weitere Fälle waren strafrechtlich verjährt; die Nada könnte sie allerdings noch sportrechtlich verfolgen.

Einmal kam im Prozess auch eine Art Konferenz zur Sprache, mit Dopingdealern und Herstellern, mit denen sich Schmidt etwa über die neusten Dopinghits austauschte; Ermittler hatten das aus Kurznachrichten ausgelesen. Als ihn die Beisitzerin zu weiteren Details löcherte, wurde Schmidt einsilbig: Er wisse ja nicht mal, was seine Kollegen mit seinen Informationen anstellen würden.

Tja, wozu unterhält man sich mit einem Dopingarzt über Fitmacher aus der Veterinärmedizin: um das Weihnachtsplätzchen-Rezept zu verfeinern?

Das Loch, das die "Aderlass"-Ermittler aufgerissen haben, ist vermutlich längst wieder zugeschüttet, das hatte Gräber schon zu Prozessbeginn gemutmaßt. Aber letztlich, auch das hatte das Münchner Verfahren gezeigt, ist das noch immer besser als vieles, was der Sport in seinen eigenen Verfahren, nun ja, ermittelt. Das hatte sich zuletzt erst wieder daran dargestellt, wie der Internationale Sportgerichtshof (Cas) den gewaltigen russischen Sportbetrug sanktionierte. In der 186-seitigen Urteilsbegründung, die der Cas jetzt publizierte, illustrierten die Richter sehr genau, wie russische Behörden eine Datenbank mit rund 23 Millionen Megabytes manipuliert hatten, um Dopingfälle großflächig zu verhüllen.

Trotzdem verhängte die Kammer ein besseres Fahnenverbot, für zwei Jahre. Und noch ein Erfolg für die Russen: Der Cas weichte die Zugangsbeschränkungen für russische Athleten auf, die beweisen müssen, dass sie nicht in den Skandal verwickelt waren, um künftig international zu starten. Denn: Die meisten Daten, mit denen die Athleten ihre Unschuld beweisen könnten, stecken ja in der kompromittierten Datenbank, folgerten die Sportrichter. Womit der Betrug ein weiteres Ziel erreicht hat.

Ob das als Abschreckung besser taugt?

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