Doping-Prozess:Nach der Injektion kommt extreme Kälte

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Trügerische Idylle: Auch Mountainbiker greifen offensichtlich zu allen Mitteln, um schnellstmöglich nach oben zu kommen. (Foto: Stefan Adelsberger/imago/Eibner Europa)

Beim Blutdoping will Sportarzt Mark Schmidt stets nur die Gesundheit seiner Klienten im Sinn gehabt haben. Eine einstige Mountainbikerin schürt daran Zweifel - und gibt Einblicke in die Methoden der Weltspitze.

Von Johannes Knuth, München

Nach rund einer Stunde hat Richterin Marion Tischler eine Überraschung für die Frau parat, die vor ihr nun doch zunehmend nervös im Zeugenstand hockt. Tischler lässt ihr eine weiße Dose reichen, roter Deckel, "ich weiß selbst nicht, was da drin ist", sagt die Richterin vergnügt. Die Dose ist noch verschlossen, ein Schild klebt darauf, offenbar mit Warnhinweisen versehen, die Christina Kollmann-Forstner, die Zeugin, erst mal aufmerksam studiert. Dann öffnet sie die Dose, sie schaut hinein - und lacht, als werde sie mit einem Foto von einer durchzechten Nacht im zweiten Studiensemester konfrontiert. "Jo, so hat's ausgeschaut", sagt sie dann über die roten Flocken in der Dose. Das sei tatsächlich das Präparat, das ihr vor gut drei Jahren in flüssiger Form in die Blutbahn geströmt sei. Und um das sich am Dienstag vieles dreht, im Verfahren gegen den Erfurter Sportarzt Mark Schmidt.

Am elften Verhandlungstag ist das Verfahren an den Münchner Stadtrand gewandert, Sitzungssaal 1/2 der Justizvollzugsanstalt Stadelheim; die weißen Mauern und der Wachturm, der sich auch gut als Tower an einem Flughafen machen würde, quetschen sich ungelenk in ein Wohngebiet mit Reihenhäusern. Aber Randsächliches wird hier eher nicht verhandelt, es geht um einen zentralen Punkt der Anklage: Der lautet auf gefährliche Körperverletzung, die Schmidt seiner einstigen Klientin, die nun im Zeugenstand sitzt, mithilfe dieser ominösen Flocken zugefügt haben soll.

Mark Schmidt, 42, hat bereits gestanden, dass er vor allem Langläufer und Radprofis über Jahre an die Nadel legte, Blut abzapfte und zurückführte, um deren Leistung im Wettkampf zu steigern, verbotenerweise. "Wahrscheinlich war meine Antriebsquelle meine Liebe zum Sport", so hat er es in seiner bislang einzigen Einlassung vor dem Münchner Landgericht verlesen lassen. Bei diesem Sport handele es sich freilich um ein Gewerbe, "in dem Doping auf der Tagesordnung ist", wie Schmidt mitteilte, teils mit "abenteuerlichen Praktiken", wenn Athleten sich etwa Mittelchen aus dem Internet selbst verabreichen würden. Dem habe er ein "Angebot von hoher Qualität" gegenüberstellen wollen. Nur: Bei Kollmann-Forstner, der WM-Zweiten 2018 und Europameisterin 2017 im Mountainbike-Marathon, war das mit der hohen Qualität so eine Sache.

5000 bis 7000 Euro pro Jahr habe sie für die Doping-Dienste bezahlt. Im Vergleich sehr günstig

Die 32-Jährige, kurze blonde Haare, dunkelblaues Oberteil, legt am Dienstag den Kopf auf die gefalteten Hände, als der Vorfall mit den Flocken vom 13. September 2017 zur Sprache kommt. Dann erzählt sie: dass sie sich im Sommer 2017 ersten Blutdoping-Kuren bei Schmidt unterzogen habe. Dass "der Mark" sie dann gefragt habe, ob sie nicht ein Präparat testen wolle, das noch gar nicht zugelassen sei, aber überraschend wirken könnte: Es handele sich um getrocknete Blutkörperchen, die aufgelöst und injiziert würden - das könnte, so habe sie das verstanden, die lästigen Blutentnahmen und Zufuhren ersetzen. Schmidt habe das Präparat dann über einen Kontaktmann beschafft, bei dem es sich laut Anklage um Dario Nemec handelt, einen mutmaßlichen Drahtzieher in Schmidts Netzwerk, der für diesen Mittwoch geladen ist.

Ansonsten, sagt Kollmann-Forstner, habe es "nicht so wirklich Informationen gegeben". Schmidt habe gesagt, dass das Präparat aus Amerika komme und "schon an anderen Sportlern" getestet wurde. Und: "dass mir nichts passieren kann". Ein Hinweiszettel habe nicht auf der Dose geklebt. Aber sie, die gelernte Gesundheitstrainerin, habe Schmidt dann schon vertraut: "Weil der Herr Schmidt der Arzt ist."

Ganz so sicher verlief diese Injektion dann aber auch nicht. Nach 20 Minuten sei ihr "extrem" kalt geworden, Zehen und Finger waren "ganz weiß". Schmidt habe sie beruhigt und Puls und Blutdruck gemessen - alles unauffällig. Was er offenbar nicht wusste, so schildert es zumindest die Zeugin: dass sein Testobjekt schon mal auf Hornissenstiche allergisch reagiert hatte. Nach einer Viertelstunde habe sich das kalte Gefühl aber wieder gelegt, kurz darauf sei das Präparat im nun roten Urin ausgeschieden worden. Sie habe aber weder Schmerzen noch Nachwirkungen verspürt; sie sei damals auch nicht weggetreten gewesen, wie sie es zunächst der Polizei berichtet hatte. Schmidt habe sich noch entschuldigt und gesagt, dass er das Präparat wohl nicht mehr verwenden könne.

Ob das den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt? Zumindest schimmert am Dienstag der eine oder andere Widerspruch zu dem auf, was Schmidt zuvor geschildert hatte. "Zu keinem Zeitpunkt" habe er behauptet, dass das Präparat zuvor an Sportlern getestet worden sei - das schildert Kollmann-Forstner anders. Sie könne sich auch nicht an eine "Vielzahl von Gesprächen über einen längeren Zeitraum" vor dem Experiment erinnern, die der Arzt mit ihr geführt haben will. Schmidt hatte auch behauptet, seine Klientin habe damals eingewilligt, um "Kosten zu sparen": Hätte das Präparat gewirkt wie gewünscht, hätte sie sich seine Dienste ja sparen können. Als Kollmann-Forstner damit konfrontiert wird, lacht sie. Dann sagt sie: "Darüber haben wir nicht gesprochen."

Allzu traumatisch war die ganze Episode aber offenbar auch nicht, wie die 32-Jährige bestätigt: Sonst hätte sie nach dem Vorfall ja nicht weiter mit Wachstumshormon und Blutbeuteln bei Schmidt gedopt, ehe der Arzt im Februar 2019 aufflog. Sie habe sich auch sonst "zu jedem Zeitpunkt gut aufgehoben gefühlt", berichtet sie am Dienstag, nachdem sie 2016 die Dienste des Doktors zu nutzen begann. Kollmann-Forstner war damals schon zweimalige Landesmeisterin im Mountainbike-Marathon, 80, 90 Kilometer durch schweres Gelände.

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Als sie in die Weltspitze stieß, seien neun der zehn Besten schon mal akut oder zuvor wegen Dopings gesperrt gewesen. Und die zehnte Fahrerin? Das sei sie gewesen (wobei die offiziellen Statistiken derartige Sündenregister zumindest nicht hergeben). Chemische Nachhilfe sei in dieser Preisklasse jedenfalls "nun mal Gang und Gäbe", die Athleten würden offen darüber sprechen. In manchen Teams aus "gewissen Ländern" werde die gewisse medizinische Betreuung sogar mit angeboten. Rund 20 Watt Trittkraft habe ihre Nachhilfe ihr zusätzlich geschenkt, sagt Kollmann-Forstner, in der Weltspitze kann das zwischen Sieg und Niederlage trennen. Was sie auch herausgefunden habe: dass die "5000 bis 7000 Euro", die sie pro Saison für Schmidt berappt habe, noch günstig seien zu vielen Preisen, die sonst in der Szene aufgerufen werden. Gelohnt hat sich das alles für die 32-Jährige am Ende aber nicht: Sie wurde von der österreichischen Justiz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, sie musste auch fast alle großen Titel und 42 000 Euro an Prämien zurückzahlen.

Was Schmidt zu all dem zu sagen hat? Am Freitag, verkündet sein Anwalt nun, wolle sich sein Mandant erneut äußern. Kurz darauf erklärte sich auch Dirk Q. erstmals, der fünfte Angeklagte in dem Prozess, der für Schmidt Blutbeutel transportiert sowie Athleten Blut entnommen und abgeführt haben soll. Er habe das aber nur sehr ungern getan, unter anderem bei einem kasachischen Langläufer bei der Rückführung geholfen, ließ er verlesen. Auch habe er nicht gewusst, dass diese und weitere Kurierdienste "möglicherweise Dopingzwecken" dienten sollten.

© SZ vom 25.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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