3. Liga:Wiedersehen in Windischgarsten

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Kapitän vor hübscher Bergkulisse: Sascha Mölders (mit Sonnenbrille) genießt das 1860-Trainingslager in Windischgarsten sichtlich. (Foto: MIS/Imago)

1860 München präsentiert sich im Trainingslager in Österreich als Perpetuum mobile: Die Rädchen greifen wunderbar ineinander, Störfeuer gibt es kaum. Dafür Fotos von Bergwanderungen - es soll schließlich nach oben gehen.

Von Christoph Leischwitz

Es war schon ein bisschen tragisch: Ausgerechnet der TSV 1860 München war die einzige Mannschaft im deutschen Profifußball, die seit Beginn der Pandemie keinen einzigen Fan im Stadion begrüßen durfte. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen das möglich gewesen wäre, hatten die Löwen gerade ein Auswärtsspiel oder einen zu hohen lokalen Inzidenzwert. Nahe gekommen war man sich zuletzt immer nur bei Anfeuerungsbekundungen auf der Straße, oder am letzten Spieltag der vergangenen Drittliga-Saison, als die Sechziger beim FC Ingolstadt ihre Aufstiegschancen verspielten. Dabei war zumindest deutlich geworden: Die intensive Bindung der Anhänger zum Klub ist immer noch da, vor allem, weil die Mannschaft von Michael Köllner eine gute Saison gespielt hat.

Kein Wunder also, dass das Wiedersehen einträchtig war. Zum Trainingsauftakt vor zwei Wochen durften die Fans erstmals wieder aufs Vereinsgelände, prompt wurden ihnen von Spielern und Trainer ein paar Träger Radler hingestellt. Aktuell befindet sich die Mannschaft im Trainingslager in Windischgarsten in Oberösterreich. Es gab Autogrammstunden und in Sachen Social Media reichlich Unterhaltung. Fotos von Bergwanderungen zum Beispiel. Es soll ja nach oben gehen. Und der hauseigene Youtube-Kanal hat für das letzte Testspiel in Österreich an diesem Dienstag gegen Austria Klagenfurt (15.30 Uhr) Ivonne Mölders verpflichtet, die Frau des Kapitäns Sascha Mölders.

Größere Sorgen gibt es immer noch nicht; fast scheint es, als wollten die traditionell streitbaren Löwen einen Idylle-Langzeitrekord aufstellen. Den meisten Ärger gab es bis vor Kurzem noch, als beim Testspiel gegen den SV Ried (0:1) ein Fan während des Spiels das Trikot des Nachwuchskickers Julian Bell von der Bank klaute. Dem Vernehmen nach bekommt dieser Fan mehr Ärger mit seinem Fanklub als mit seinem Verein.

Nur die kleine Fangruppe schert aus, die das so genannte "Scheichlied" anstimmt

Nun hat allerdings eine kleine Fangruppe mal wieder das so genannte "Scheichlied" angestimmt - einen Schmähgesang auf den jordanischen Klubinvestor Hasan Ismaik. Ganz ungefährlich ist das nicht. Im Laufe der vergangenen Rückrunde war auf der Haupttribüne des Grünwalder Stadions - und mehr noch bei Auswärtsspielen, was mangels heimischer Journalisten aber weniger auffiel - zu sehen gewesen, dass sich Vereins- und Investorenvertreter sogar körperlich näher kamen, in Form eines Abklatschens bei Toren, ja, es soll sogar Umarmungen gegeben haben! Die Beziehung, in den vergangenen Jahren immer wieder arg strapaziert, gleicht einem ganz zarten Pflänzchen, doch wie zu hören ist, gedeiht es auch im Trainingslager gerade ein bisschen weiter. Es ist daher wenig überraschend, dass Köllner sich klar gegen diese Gesangsaktion stellte und eine Art Bewährungsstrafe aussprach.

Für den Trainer beginnt eine interessante Phase. In der vergangenen Saison war das sportlich gute Abschneiden zu einem Perpetuum mobile geworden, weil es kaum energieraubende Störfeuer gab. Doch bald werden die Zuschauer wieder zurück sein im Stadion, und damit irgendwann auch wieder Protestlieder und -banner, wogegen auch immer. Außerdem wird die Erwartungshaltung eine andere sein, gerade weil man ja nur knapp am Aufstieg vorbeigeschrammt ist, und gerade weil Köllner nun seine Kaderwünsche erfüllt wurden. Er selbst sagt, er hoffe, dass Sechzig "18 Vereine hinter sich lassen wird. Und ja, diesmal werde man von Beginn an Druck haben.

Die Kaderplanung so früh abgeschlossen zu haben, empfindet auch der Trainer als Luxus

Es ist durchaus ein Luxus, die Kaderplanung bereits abgeschlossen zu haben, so empfindet das auch Michael Köllner. Stand jetzt wird niemand mehr die Mannschaft verlassen. Ein Kandidat wäre Mittelfeldspieler Dennis Dressel, an dem ausgerechnet Zweitligist Darmstadt 98 Interesse zeigte, der erste Gegner im DFB-Pokal. Doch im Moment erscheint der Weggang unwahrscheinlich.

Rein sportlich arbeitet Köllner derzeit viel daran, die neuen Spieler einzubauen, und das offenbar durchaus erfolgreich. Der neue Angreifer Marcel Bär hinterlässt gute Eindrücke und könnte dazu geeignet sein, den letztjährigen Drittliga-Torschützenkönig Sascha Mölders zu unterstützen, für noch mehr Präsenz im gegnerischen Strafraum. "Wir haben jetzt mehr Möglichkeiten in der Offensive", sagt Köllner selbst und experimentiert in Testspielen mit einer Dreierkette, um vorne dauerhaft zwei Angreifer zu installieren. Wobei der 51-Jährige in Sachen Spielsystem noch nie ein Gralshüter war und weiter flexibel bleiben will.

In Marcel Bär, dem Mittelfeldspieler Yannick Deichmann vom VfB Lübeck und Kevin Goden (1. FC Nürnberg) hat Köllner nun in jedem Mannschaftsteil einen potenziellen Stammspieler mehr - abgesehen davon, dass der zweitligaerfahrene Quirin Moll gerade zurückkehrt und sowohl in der Innenverteidigung als auch auf der Sechs Spielpraxis sammelt. Schwieriger wird es für den eigenen Nachwuchs, Spielzeit zu ergattern. Allerdings könnte der junge Schweizer Nathan Wicht durchstarten, der vergangene Saison noch in der U17-Bundesliga spielte und jetzt im Profikader steht. Die Talente haben zumindest von der kommenden Saison an wieder die Möglichkeit, über die U21 auf sich aufmerksam zu machen.

Den geringsten Erfolgsdruck in den kommenden Monaten dürfte die Frauenmannschaft verspüren, die gerade ihr erstes Freundschaftsspiel bestritt (1:2 gegen den SSV Weng II) und im Sommer erstmals in den Ligabetrieb einsteigen will. Die Erwartungshaltung ist nach 40 Jahren Pause gemäßigt.

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