100-Meter-Finale:Bolts Zirkusnummer fehlt der Zauber

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In 9,81 Sekunden gewinnt Usain Bolt mühelos Gold über 100 Meter - zum dritten Mal nacheinander. (Foto: dpa)

Für einen Abend lenkt Usain Bolt Olympia von all den schweren Themen ab, die seit Beginn an den Spielen kleben. Aber sein Spektakel verliert an Kraft.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Usain Bolt ahnte es vermutlich schon. Als er ins Stadion gerufen wurde, in die flirrende Atmosphäre eintauchte, die Arme von sich gestreckt wie die leibhaftige Christusstatue vom Berg Corcovado. Als er sich vor dem Rennen aus dem Startblock hob, die Bahn hinunterjoggte und lässig ins Publikum grüßte.

Als das Publikum im Estádio Nilton Santos den Soundtrack für die kommende Vorstellung selbst auflegte, "Bolt, Bolt, Bolt" skandierte es. Der Adressat nickte bei jedem Bolt, das von den Rängen schwappte, artig im Takt. Als er dann vor dem Rennen vorgestellt wurde und ein wenig vor der Kamera herumhampelte. Vermutlich ahnte Usain Bolt da schon, dass es ein recht angenehmer Abend werden würde.

Usain Bolt, 29, aus Kingston/Jamaika hat routiniert sein Protokoll abgearbeitet, als er am Sonntag zum ersten Mal bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro auftrat. Er gewann die 100 Meter in 9,81 Sekunden, im Schlepptau den Amerikaner Justin Gatlin (9,89) und den 21 Jahre alten Kanadier Andrew De Grasse (9,91). Er drehte seine Ehrenrunde, fertigte digitale Schnappschüsse mit den Siebenkämpferinnen an, die kurz zuvor neben der Bahn geehrt worden waren.

Bolt hat für einen Abend von all den schweren Themen abgelenkt

Der Kameramann auf dem Segway folgte ihm diesmal mit Sicherheitsabstand, bei der WM in Peking vor einem Jahr hatte ein Fernsehmann Bolt mit seinem mobilen Roller von den Beinen geholt. Bolt malte seine Sternendeutergeste in die Luft, durch das Stadion fuhr ein spitzer Schrei. Eine Zugabe gab er noch, dann fiel schon der Vorhang. Der Stadionsprecher bewarb tapfer die Hochsprung-Qualifikation, "noch 23 Springer im Wettbewerb", rief er aufgeregt. Die meisten Zuschauer waren da aber bereits zum Ausgang geeilt.

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Den Auftrag der Organisatoren hatte Bolt längst erfüllt. Er hat den Spielen in Rio de Janeiro die erste Zirkusnummer verschafft. Für einen Abend hatte er Olympia von all den schweren Themen abgelenkt, die seit Beginn an den Spielen kleben. Aber so richtig verfing der Zauber nicht. Im Vergleich zu früher wirkte Bolt altersmilde, sein Spektakel verliert langsam an Kraft. Das Finale trug auch wenig Spannung in sich, Gatlin leistete lange Gegenwehr, aber "nach 50 Metern", sagte Bolt später, "wusste ich, dass ich ihn kriegen würde".

Anders als in Peking, als er ihn über die 100 Meter erst auf den letzten Metern einfing. Die Zeit war mäßig für Bolts Verhältnisse, so ist das halt, wenn man stets die Weltrekorde zum Maßstab ausruft. Wobei das Finale auch darunter litt, dass die Organisatoren die Pause zwischen Halbfinale und Finale von zwei auf eineinhalb Stunden gekürzt hatten. "Keine Ahnung, warum", sagte Bolt, "aber hey, wir sind nur Athleten, wir müssen laufen. Was willst du machen?"

Bolt hat jetzt übrigens drei Olympiasiege über 100 Meter aneinandergeknüpft, das hat in der 120 Jahre währenden Historie der neuzeitlichen Spiele noch niemand geschafft. Aber das rückte nach dem Rennen bald in den Hintergrund. Das dritte Triple in Serie ist sein Ziel, das ist die Dramaturgie, die Olympia bis zum Ende beschäftigen soll und wird. Er muss dafür noch über die 200 Meter (am Donnerstag) und mit der 4x-100-Meter-Staffel (am Freitag) reüssieren. "Irgendjemand hat vor einem Jahr gesagt, dass ich unsterblich bin, wenn ich hier noch mal drei Goldmedaillen gewinne", sagte Bolt. Er fügte an: "Das hat mir ganz gut gefallen."

Man kennt diese Phrasen von den vergangenen Leistungsmessen, sie rollen längst wie Massenware fürs Massenpublikum vom Band. Auch in Rio redete Bolt über Unsterblichkeit und darüber, dass er über 200 Meter noch einmal einen Weltrekord erschaffen wolle. "Wenn ich mich gut erholen kann nach dem Halbfinale, ist es möglich", sagte er; das Übliche halt. Ein Reporter wollte wissen, was hinter dem Erfolg von Usain Bolt steckte, wie er sich zuletzt vorbereitet und ernährt habe. "Hauptsächlich mit asiatischem Essen", sagte Bolt, "meistens Hühnchen und Nudeln."

Man darf gespannt sein, wie Olympia jene Leerstelle füllt, die Bolt hinterlassen wird - sollte er nach der kommenden Saison tatsächlich den sportlichen Ruhestand anstreben. Der 29-Jährige nutzte seinen ersten Auftritt in Rio jedenfalls, um schon einmal seinen Nachlass zu verwalten und ein Anforderungsprofil für seine Nachfolger zu erstellen: "Der Sport braucht Leute, die voller Energie sind, voller Vibes. Das spricht sie an, der Hype. Sie wollen Teil des Wettkampfs sein, nicht einfach nur dabei zuschauen."

Es war ein recht simples Geschäftsmodell, das Bolt da entwarf, in dem wenig von der Vielseitigkeit der Charaktere und Übungen in der Leichtathletik steckte. Aber gut.

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Von Johannes Knuth

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Bis zur WM 2017 in London rollt der Bolt-Zirkus weiter durch die Szene, vermutlich mit Justin Gatlin im Schlepptau. Die Zuschauer in Rio pfiffen den 34 Jahre alten Amerikaner herzhaft aus. Weil er gestichelt hatte, dass Bolt nach seiner Oberschenkelverletzung bei den jamaikanischen Trials sich nachträglich für Rio qualifizieren durfte? Oder doch eher wegen der zwei Dopingvergehen in seinem Lebenslauf? Man wusste es nicht so genau.

Bolt war jedenfalls "echt geschockt", wie er sagte. Gatlin führte zu seiner Entlastung an, dass er seine Gegner stets respektiere, ähnliches erwarte er auch von den Anhängern seiner Rivalen. "Die Leute, die gebuht haben, kennen mich nicht mal", sagte er.

Da ist was dran. Man würde ja schon gerne wissen, wie das eigentlich sein kann, dass da jemand positiv auf Testosteron getestet wird, seinen Weltrekord verliert (9,77 Sekunden) und dann bis in diese Saison hinein, in einem für Sprinter Frührentenalter von 34 Jahren, fast so schnell läuft wie vor seiner Sperre. Gatlin hat damals gegen seinen ehemaligen, mittlerweile wegen Doping verurteilten und gesperrten Trainer Trevor Graham ausgesagt (der vor Olympia per Facebook brisante Enthüllungen ankündigte). Öffentlich sagt Justin Gatlin nichts mehr zu diesen Dingen, er muss das nicht tun, aber so bleibt alles wie immer im Anti-Doping-Kampf: im Vagen.

In Rio löste Gatlin den Briten Linford Christie als ältesten Sprinter ab, der bei Olympia eine Medaille erhalten hat. Christie gewann 1992 in Barcelona im Alter von 32 Jahren Gold über 100 Meter, später wurde er positiv auf Nandrolon getestet. Nein, Gatlin schweigt. Er verfolgte die Presserunde am Sonntag über weite Strecken höflich, wie ein Schatten, der still an die Zweifel in diesem Sprint-Theater erinnerte.

© SZ vom 16.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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