1. FC Nürnberg:Alles wieder eingerissen

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Der Club blamiert sich beim 0:6 gegen den VfB Stuttgart und verspielt das im Zweitliga-Abstiegskampf womöglich wichtige bessere Torverhältnis.

Von Sebastian Fischer

Die Spiele des 1. FC Nürnberg in der zweiten Liga hat Jens Keller in den vergangenen Wochen meist mit Fassung verfolgt. Der 49-Jährige ist kein Trainer, der als besonders lautstark an der Seitenlinie bekannt ist. Am Sonntag allerdings, während der Begegnung mit dem VfB Stuttgart, verlor er die Fassung. "Konzentriert euch!", schrie er. Und er wirkte verzweifelt. Nürnberg verlor mit 0:6 (0:3). Und die vielen Gegentore machten die Situation im Kampf gegen den Abstieg noch dramatischer als die bloße Niederlage.

Nürnberg gegen Stuttgart, das klingt eigentlich nach größerem Fußball als zweiter Liga. Zumindest für den VfB ist das auch wieder die Perspektive: Die Ersatzspieler auf der Tribüne begannen zu jubeln, als sie auf dem Handy verfolgten, wie Heidenheim gegen den Hamburger SV in der Nachspielzeit in Führung ging und gewann, was so gut wie sicher den Stuttgarter Aufstieg bedeutete. Als der VfB feierte, waren die meisten Nürnberger schon Richtung Kabine verschwunden. "Diese Leistung ist indiskutabel", sagte Keller. "Das darf so nicht passieren."

Auch Nürnberg war nach dem Abstieg aus der Bundesliga 2019 mit dem Ziel angetreten, sich in der Nähe von Mannschaften wie dem VfB zu bewegen. Doch der Club ist einen Spieltag vor Saisonende immer noch nicht vor dem Abstieg in die dritte Liga sicher. "Wir haben es noch in der eigenen Hand", sagte Keller. Das Spiel gegen Stuttgart zeigte aber einmal mehr, wie viel in dieser Saison beim FCN schiefgeht.

Nürnberg hatte es unter der Woche geschafft, die Negativserie von sechs Spielen nach der Corona-Pause ohne Sieg zu beenden, es gelang ein 6:0 gegen den SV Wehen Wiesbaden, als Tabellensiebzehnter ein Konkurrent im Abstiegskampf. Doch die Mannschafte habe "mit beiden Händen wieder eingerissen", was sie sich in Wiesbaden aufgebaut hatte, sagte Keller. Zwar kann Nürnberg nicht mehr direkt absteigen. Doch um nicht noch auf den Relegationsplatz zurückzufallen, braucht es im letzten Spiel bei Holstein Kiel möglicherweise noch einen Sieg. Der Vorsprung auf den Karlsruher SC auf Rang 16 beträgt nur zwei Punkte. Gewinnen die Nürnberger in Kiel nicht, sind sie darauf angewiesen, dass der Erzrivale Greuther Fürth gegen den KSC am letzten Spieltag nicht verliert.

Anders als in Wiesbaden wirkte Nürnberg gegen Stuttgart nur zu Beginn kämpferisch. Thomas Grethlein, der Aufsichtsratschef, der in Abwesenheit der Fans auch im letzten Heimspiel der Saison den einsamen Einpeitscher im Oberrang gab, brüllte zwar fast für jede gelungene Aktion sein Lob Richtung Rasen. Doch es gelang kaum etwas. "Nach 20 Minuten sind wir weggebrochen", sagte Keller.

Nach elf Minuten verlor Georg Margreitter, der in Abwesenheit des angeschlagenen Dinos Mavropanos mit Asger Sörensen das Innenverteidigerduo bildete, gedankenlos als letzter Mann den Ball gegen Stuttgarts Silas Wamangituka: das 0:1. Das 0:2 fiel nach einer von Außenverteidiger Tim Handwerker mit einem verunglückten Kopfball verursachten Ecke (26.). Vor dem 0:3 lief wieder Margreitter Wamangituka hinterher, der diesmal auf Sasa Kalajdzic querlegte (41.). Vor der Halbzeit schien das Spiel für den Club längst verloren zu sein. Und es wurde noch schlimmer.

Das 6:0 in Wiesbaden war auch deshalb so wertvoll gewesen, weil im Kampf gegen den Abstieg die Tordifferenz entscheiden kann. Fünf Tore Vorsprung hatten die Nürnberger auf den KSC herausgespielt. Nun ist das Torverhältnis wieder um ein Tor schlechter als das der Karlsruher, die am Sonntag nach 0:3-Rückstand noch 3:3 beim Zweitligameister Bielefeld spielten. Der Club hingegen wehrte sich nicht.

So wie die Gegentore fielen, Nicolas Gonzalez per Kopfball zum 4:0 (52.), Atakan Karazor mit seinem zweiten Treffer zum 5:0 (63.), wieder Gonzalez zum 6:0 (76.), hatte man tatsächlich den Eindruck, dass sich die Nürnberger ergaben. Manchmal standen sie zu siebt am eigenen Strafraum und kamen doch nicht an den Ball, ließen Flanken einfach geschehen. "Heute schäme ich mich zum ersten Mal für unsere Leistung", sagte Torwart Christian Mathenia.

Bis die Stuttgarter zu jubeln begannen, war es in den letzten Minuten auch für Geisterspielverhältnisse sehr ruhig in Nürnberg, selbst Grethlein schrie kaum noch. Es wäre ein passendes Ende einer ziemlich trostlosen Saison gewesen. Aber die Saison ist immer noch nicht zu Ende.

© SZ vom 22.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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