1. FC Nürnberg:Werbung in eigener Sache

Lesezeit: 3 min

Argumentsammlung in eigener Sache: Unter Boris Schommers hat sich die Mannschaft entwickelt. (Foto: Sebastian Widmann/Getty Images)

"Aus rationaler Sicht gibt es keinen Grund gegen uns": Boris Schommers will unbedingt Trainer beim FCN bleiben.

Von Sebastian Fischer

Wenn jemand im Sommer nach einer Szene suchen wird, um die Bundesligasaison des 1. FC Nürnberg zu erklären, wird er nicht an jener am Sonntag vorbeikommen, als Tausende Menschen im Stadion an das scheinbar Unmögliche glaubten, ein paar Sekunden lang, und dann doch vor Enttäuschung seufzten. Tim Leibold, der Linksverteidiger, stand am Elfmeterpunkt, um in der Nachspielzeit den FC Bayern zu besiegen. Doch kurz darauf vergrub er sein Gesicht in den Handflächen, er hatte mit seinem Strafstoß nur den Innenpfosten getroffen. Neben Nürnbergs Bank waren Bilder der Verzweiflung zu sehen: Leibolds ausgewechselter Mitspieler Robert Bauer lag sekundenlang regungslos auf dem Boden. Und Aufsichtsratschef Thomas Grethlein schrie vor Fassungslosigkeit.

"Es gibt keine normalen Spiele hier in Nürnberg", sagte Interimstrainer Boris Schommers, als das 1:1 gegen den Rekordmeister Geschichte war. So viel Pech hat der Club, meinte er damit. Für Verteidiger Bauer war der Elfmeter, der vierte vergebene der Saison, "ein bisschen symptomatisch". Einerseits war der Punkt ein Erfolg der Moral, in der 95. Minute hatte Torwart Christian Mathenia noch eine Münchner Großchance zum Siegtor von Kingsley Coman vereitelt. Andererseits: Fünf Punkte beträgt nun der Rückstand auf den VfB Stuttgart auf dem Relegationsplatz. Und sollte der VfB am kommenden Wochenende bei Hertha BSC gewinnen und Nürnberg nicht beim VfL Wolfsburg siegen, steht der neunte Abstieg der Vereinsgeschichte fest. Das ist eine von wenigen Gewissheiten in Nürnberg in diesen Tagen.

Ex-Trainer Michael Köllner unternimmt eine Art Medientournee in eigener Sache

Die zukünftige Zusammensetzung der Mannschaft, zum Beispiel, gehört nicht dazu. Leibold etwa, der mit 25 seine erste Bundesligasaison spielt, wird den Verein nach einem Bericht des Senders Sky angeblich verlassen und nach Stuttgart zurückkehren, sollte jener Verein, von dessen zweiter Mannschaft er im Sommer 2015 kam, nicht in die zweite Liga absteigen. Um viele weitere Spieler häufen sich die entsprechenden Gerüchte. Und dann geht es auch darum, wer den Club in der kommenden Saison trainiert. "Wenn jedes Spiel so abläuft, mit so einer Stimmung, kann ich auch in Zukunft damit leben, wenn wir in der 90. Minute einen Elfmeter verschießen", sagte Schommers. Die Frage ist bloß, ob er dann noch in verantwortlicher Position am Seitenrand steht.

Dass der Rheinländer, 40, in zehn Spielen seit der Freistellung seines Vorgängers Michael Köllner beim Club viel bewirkt hat, das zeigte erneut auch das Spiel gegen die Bayern. Nürnberg verteidigte nicht nur stur und tief, sondern ließ sich im Gegenteil nur selten ins eigene Abwehrdrittel drängen, versuchte zwischenzeitlich immer mal wieder ins Gegenpressing zu gehen, also nach Ballverlusten in der Offensive den Ball gleich wieder zurückzugewinnen. Über den 1:0-Torschützen Matheus Pereira, in den vergangenen fünf Spielen an vier Treffern beteiligt, kam der Club wiederholt gefährlich vors Tor. Und hätte Stürmer Mikael Ishak bei einem Konter in Überzahl den Pass auf Pereira gewählt, womöglich hätte der Brasilianer frei vor Bayern-Torwart Sven Ulreich das 2:0 erzielt.

Der österreichische Coach Damir Canadi von Atromitos Athen ist im Gespräch

Es sieht nicht nach Zufall aus, dass Pereira, 22, den Sportvorstand Robert Palikuca gerne für ein weiteres Jahr von Sporting Lissabon ausleihen würde, sein Talent nun unter Schommers zur Geltung bringt. Umso ironischer wirkte es am Sonntagabend, als Ex-Trainer Köllner, der in diesen Tagen eine Art Medientournee in eigener Sache unternimmt, in einer Sky-Talkshow das dritte Interview binnen weniger Tage gab. Er sprach unter anderem darüber, wie er Pereira gefördert habe. Allerdings hatte der Brasilianer unter ihm in der Hinrunde kaum gespielt.

Ob Schommers die Argumentsammlung in eigener Sache nützt, das ist jedoch noch nicht klar. Kicker und Bild berichteten am Montag, dass Damir Canadi in den Überlegungen des Clubs eine Rolle spielt. Der Österreicher, 48, trainiert gerade Atromitos Athen. Was jedoch auch klar ist: Schommers möchte bleiben. "Wenn man unsere Arbeit der vergangenen Wochen sieht, gibt es keinen Grund, diesen Weg zu beenden. Aus rationaler Sicht gibt es keinen Grund gegen uns", also gegen ihn und sein Trainerteam, sagte er am Montag. Schließlich habe er den Club in der schwerstmöglichen Situation übernommen. Die Gespräche mit Palikuca seien bislang positiv verlaufen, Schommers ist seit Wochen in die Kaderplanung mit einbezogen, und er und Palikuca hätten ähnliche Vorstellungen, sagt er. Eine Rolle als Assistenztrainer wie zuvor unter Köllner ist für ihn eher keine Option. Er sagt: "Mein klarer Wunsch ist es, Cheftrainer zu sein." Und das, daran glaubt er noch, am liebsten in der ersten Liga.

Am Sonntag, als er die Mannschaft nach dem Spiel im Kreis auf dem Rasen aufzurichten versuchte, da habe er den Spielern gesagt, dass von den letzten drei Gegnern keiner so gut sei wie der FC Bayern. Und deshalb sei noch alles möglich.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: