Sprachlabor (70):Eine bedenkliche Unbedenklichkeit ist am Werk

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger zeigt auf, wo auch der Duden seltsam inkonsequent ist.

"IRGENDWIE" ÄHNLICH seien einander die zwei Adjektive bzw. Adverbien vermeintlich und angeblich , schreibt uns Günther-Fritz Häberle, der hier mit vollem Namen steht, weil dieses Labor mehr oder minder auf seinem, mit Verlaub, Mist gewachsen ist. Er sieht in der SZ - und wohl in der gesamten Presse - eine bedenkliche Unbedenklichkeit am Werk, die umso erstaunlicher ist, als sich der Unterschied zwischen vermeintlich und angeblich schnell und eigentlich recht klar zeigen lässt. Sagt man: " Vermeintlich bedeutet angeblich das Gleiche wie angeblich ", so ist das etwas völlig anderes, als wenn man sagt: " Vermeintlich bedeutet vermeintlich das Gleiche wie angeblich ."

Zwei Schülerinnen schauen in einem Duden etwas nach.   (Foto: ag.dpa)

Die erste Version nährt den Glauben, dass an der unterstellten Gleichheit sehr wohl etwas dran ist, wohingegen bei Version zwei "die kolportierte Unterstellung, der Verdacht, die Vermutung, die den Kern der Behauptung ausmacht, vom Berichterstatter schon falsifiziert werden konnte" (Häberle).

Dieser Gebrauch von vermeintlich ist beispielhaft in einem Brief Lichtenbergs an Georg August Ebell zu sehen. Lichtenberg war offenbar ziemlich krank gewesen, ein "Cadidatus mortis", wie er sagt, und entschuldigt sich, dass er Ebells Paket, das ihm "auf meinem vermeintlichen Todbette" gebracht worden sei, nicht eher habe öffnen können. Das heißt, Lichtenberg selbst hatte "vermeint", dass sein letztes Stündlein schlagen könnte, ist aber aus dem Schlimmsten heraus. Würde jedoch in einem Museum ein Lichtenberg-Totenbett von dubioser Herkunft ausgestellt, müsste auf der Tafel stehen: "Georg Christoph Lichtenbergs angebliches Totenbett."

Herr Häberle erinnert daran, dass es bei ungewissen Sachverhalten noch andere Benennungen gibt, beispielsweise mutmaßlich, dem Vernehmen nach, gerüchteweise, wie aus sicherer Quelle verlautet, nach eigenem Bekunden. Der Duden ist in diesem Punkt übrigens seltsam inkonsequent. Während er unter angeblich auch vermeintlich als Synonym führt, fehlt unter vermeintlich das mit Fug und Recht zu erwartende Synonym angeblich .

© SZ vom 17./18.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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