Sprachlabor extra (230):Kılıçdaroğlu, Vrančić, Miłosz - endlich richtig geschrieben

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Eine handelsübliche QWERTZ-Computertastatur. In dieser Reihenfolge erscheinen die jeweiligen Zeichen auf den Tastaturen von Computern oder Schreibmaschinen - zumindest im deutschen Sprachraum. Nach der ersten Kombination QWERTZ - zu finden oben links auf dem Tastenfeld - ist das deutsche System sogar benannt. (Foto: ddp)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger und die neuen Zeichen.

Ich habe keinen Beweis dafür, bin mir aber sicher, dass am Montag, 9. Dezember, einige Leser auf der Seite 3 eine bestimmte Stelle angestrichen und dann an den Rand "Na, also!" oder "Geht doch!" geschrieben haben. Die Stelle fand sich in der zweiten Spalte, und zwar da, wo der schöne Name Czesław Miłosz vorkam.

Noch in der Samstagsausgabe hätte es stattdessen Czeslaw Milosz geheißen, weil unser Schreibsystem bis dahin nicht in der Lage war, das Sonderzeichen ł hervorzubringen, ein Mangel, den uns die in fremden Sprachen firmen Leser immer schwer verübelten. Mit Schrecken denke ich an einen Brief zurück, in dem mir die Schreibweise Cesky (richtig: Český) Krumlov als Ausdruck meiner revisionistischen, ja revanchistischen Gesinnung ausgelegt wurde. Briefe dieser Sorte müssen nicht mehr geschrieben werden, denn wir haben jetzt diakritische Zeichen in solcher Fülle, dass wir sogar den Satz "Zalyžařivšísi lyžař potkal nezalyžařivšísi lyžařku" korrekt "darstellen" können. Das bedeutet "Ein Ski fahren gewesener Skifahrer traf eine nicht Ski fahren gewesene Skifahrerin" und kommt gottlob selten vor.

Unter diakritischen Zeichen versteht man grafische Zusätze, mit denen ein Basisalphabet erweitert wird, wenn zusätzlicher Bezeichnungs- und Differenzierungsbedarf besteht. Laut dem Metzler-Lexikon "Sprache" gehen schon das lateinische G und R auf diakritische Striche am C und P zurück, und auf ähnliche Weise sind all die anderen Diakritika entstanden: Akzent, Apostroph, Cedille, Haček, Makron, Tilde, Trema und wie sie sonst heißen. Dazu kommen superskribierte Ringe wie im norwegischen å und im tschechischen ů, Durchstreichungen wie beim ø oder beim kroatischen đ und natürlich bei dem berühmten polnischen ł, das in Namen wie Wałęsa vorkommt und zusammen mit dem nicht weniger eigenartigen ę bei den Nachrichtensprechern immer wieder zu tragikomischen Konvulsionen geführt hat.

Es darf bei dieser Gelegenheit vielleicht angemerkt werden, dass uns die ständigen Rügen aus dem Leserkreis nie gleichgültig ließen. Sie hatten in aller Regel zwei Hauptstoßrichtungen - und beide Stöße saßen. Der eine Vorwurf ging dahin, dass wir ungebildet seien und nicht einmal wüssten, wie der türkische Politiker Kemal Kılıçdaroğlu zu schreiben sei, nämlich gefälligst ohne i-Tüpferl, aber mit einem kleinen Halbmond auf dem g, wie er auch seinem Kollegen Erdoğan zustehe. Der andere Vorwurf traf noch schmerzlicher, weil die Leute, die ihn erhoben, aus dem Fehlen diakritischer Zeichen den Schluss zogen, dass da auf subtile Art die Völker, deren Sprache wir malträtierten, verachtet oder jedenfalls nicht genügend respektiert würden.

Der erste Vorwurf war vergleichsweise leicht wegzustecken. Kein Mensch weiß alles, und möglicherweise gibt es auch unter den Lesern welche, die Zeichen wie Þ, į, ŋ, ż oder đ nicht ohne weiteres einordnen können. Schwieriger wurde es beim zweiten. Wie soll man erklären, dass man alle Völker liebt, und mögen sie noch so vertrackte Sprachen haben? In dieser Notlage wichen wir auf das wohlfeile Argument aus, dass sich die Amerikaner herzlich wenig um unser ä, ü oder ß scherten und uns trotzdem nicht verachteten. Das sei doch wohl etwas anderes, bekam man da oft zu hören.

Neue Besen kehren gut, und wir erhoffen uns auch von den neuen Zeichen, dass sie mehr Korrektheit in unsere Arbeit bringen. Da uns andererseits bekannt ist, dass neue Besen manchmal sperrig in der Hand liegen, schließen wir nicht aus, dass es, vor allem bei Wörtern aus völlig abgelegenen Sprachen, anfangs zu Unebenheiten kommen kann. Indes bauen wir auf das wohlwollende Verständnis der Leser, wenn uns die Sache hin und wieder aus dem Ruder läuft und wir beispielsweise bei dem Fußballer Vrančić das č und das ć verwechseln. Bei Eintracht Braunschweig, wo er spielt, schreiben sie ihn übrigens oben ohne, nur Vrancic.

© SZ vom 30.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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