Sprachlabor (57):Das schöne Plusquamperfekt

Lesezeit: 1 min

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger denkt über einen Adverbialgenitiv und eine Floskel nach.

SCHOPENHAUER, der alte Grobian, wetterte einmal ganz abscheulich gegen die "Tintenkleckser", die für alle Formen der Vergangenheit nur noch das Imperfekt benützten. "Unter allen Sprachverhunzungen" sei diese "die niederträchtigste, da sie die Logik und damit den Sinn der Rede angreift". Unser Leser Dr. H. ist um sehr viel höflicher als Schopenhauer, doch der unkorrekte Gebrauch der Vergangenheitsformen, in diesem Fall des zwar seltenen, aber auf seine Art ebenso würdigen wie schönen Plusquamperfekts, stößt auch ihm sauer auf. Sein Fund aus der SZ lautet so: "Bereits vor fünf Jahren, als erstmals Hinweise auf das Sponsoring bekannt wurden, hatten die Parteienrechtler Thilo Streit und Martin Morlock Kritik daran geübt." Wie Dr. H. sauber auseinanderlegt, können die besten Parteienrechtler keine Kritik üben, ehe sie nicht von den Usancen des Sponsorings erfahren haben, weswegen die Konstruktion folgendermaßen hätte lauten müssen: Vor fünf Jahren, als (besser: nachdem) Hinweise bekannt geworden waren, hatten Streit und Morlock Kritik geübt.

Die traditionsreiche Brockhaus-Enzyklopädie. (Foto: ag.ddp)

EINE MUTTER aus Rahway in New Jersey, die wegen einer aus Schnee erbauten Venus mit prüden Nachbarn Ärger hatte, wies darauf hin, dass die originale Venus ebenfalls nackt sei. Im Streiflicht wurde diese Aussage um die Floskel "ihres Wissens nach" angereichert, was unserer Leserin Th. gar nicht gefiel. In der Tat hätte der Autor sich da zwischen "ihres Wissens" oder "ihrem Wissen nach" entscheiden müssen, am besten für die erste Version. Es handelt sich dabei um einen Adverbialgenitiv nach Art von "eines Abends" oder "leichten Schritts", der auch autonomer Genitiv heißt, weil er durch kein Element seiner Umgebung festgelegt wird - eine herausgehobene Existenz, die wir ihm auch losen Sinns nicht trüben sollten.

VOM VERSCHWINDEN der Musik handelte ein Text im Feuilleton. Darin wurde zweimal die Formulierung "zunehmend weniger" gebraucht, die Leser B.-W. insofern für widersinnig hält, als etwas, das weniger wird, doch nicht zunehmen könne - schließlich mache man auch keine Diät, um "zunehmend abzunehmen". Wohl wahr. Nichtsdestoweniger sei erwähnt, dass der Duden das Wort zunehmend als Synonym für deutlich sichtbar gelten lässt. Die kritisierte Floskel könnte dadurch ja an Plausibilität zunehmen. Mehr oder weniger.

© SZ vom 3./4/.5.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: