Sprachlabor (86):"Für" oder "vom" - da ist auch das Sprachlabor machtlos

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger erläutert ein Indefinitpronom und taucht in die Kunst der Raumausstattung ein.

WENN ES IM BETREFF eines Briefes heißt: "Was ich schon lange der SZ sagen wollte", klingt das nach Archibald Douglas und schwerem Leid: "Ich hab' es getragen sieben Jahr" und so. Nun trat Leser H. an uns heran, nicht in Knechtsgestalt, aber mit der Klage, dass über unserem Fernsehprogramm "Das Programm vom . . ." statt "Das Programm für . . ." stehe und dass er, H., dies nicht länger tragen könne. In der Alltagssprache wird da kein großer Unterschied gemacht. Mit Rücksicht auf den Sinn des griechischen prógramma (das vorher Geschriebene) muss man jedoch für die Präposition für plädieren. "Programm vom" hört sich fast so an, als sei der Fernsehabend vorbei und jemand habe noch schnell den Programmablauf dokumentiert. Das Sprachlabor hat nicht die Mittel und schon gar nicht die Macht, solche Seitentitel zu ändern, aber es trägt die Sache weiter. "Zu Ross, wir reiten nach Linlithgow . . ."

Zeitschriften der Axel Springer AG, darunter auch Fernsehprogramm-Hefte. (Foto: AP)

MIT DER LOGIK der Sprache ist das so eine Sache. In einem Bericht über den Prozess gegen Verena Becker hieß es, dass einen bestimmten Verdacht bisher "fast niemand" habe bestätigen können. Diese Relativierung des Indefinitpronomens niemand hält Leser B. für unzulässig, und in der Tat kommt es bei einem Prozess entscheidend darauf an, ob wirklich niemand etwas zuverlässig weiß: Da freut sich zumindest der Angeklagte. Im außergerichtlichen Leben geht es freilich lässiger zu, da sind Relativierungen des vermeintlich Unrelativierbaren an der Tagesordnung, da büßt der Grundsatz "Ein bisschen schwanger gibt es nicht" viel von seiner Unbedingtheit ein. Man sagt "fast immer", obwohl es am Immerwährenden eigentlich nichts zu rütteln gibt, man geht "so gut wie nie" ins Kino und kennt doch jeden Film, und wenn man sich "beinahe tot"- gelacht hat, lebt man gottlob gemütlich weiter - fast meistens wenigstens.

WAS EIN TROTTEL ist, glauben die meisten zu wissen: im Zweifel der andere. Als kürzlich bei uns "schwere Vorhänge mit Trotteln" vorkamen, sah das nach einem Wortdreher aus - "Trottel mit schweren Vorhängen" kann man sich gut vorstellen, insbesondere wenn sie darüber stolpern. Wie einige Leser klar erkannten, handelte es sich bei den Trotteln natürlich um Troddeln, also um jene Quasten, die sich an Vorhängen und Vorhangschnüren so unheimlich gut machen. Die Kunst der Raumausstattung ist wohl nicht so populär, wie sie das verdiente.

© SZ vom 20./21.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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