Sprachlabor (81):Alles halb so schlimm

Lesezeit: 2 min

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger bekennt sich zu Kollegen und geht einer Scherzfrage auf den Grund.

OHNE KONKRETES Beispiel, aber gestützt auf eine Serie von Fehlleistungen, fordert unser Wiener Leser R., niemals wieder "nahe des" statt "nahe dem" zu schreiben. Er hat ja nur allzu recht und glaubt auch die Ursache der Dativ-Verdrängung zu kennen: einerseits die ansteckende Wirkung von "unweit des" oder "in der Nähe des", andererseits der Gleichklang von Genitiv und Dativ bei Feminina ("nahe der Brücke"). Ein rascher Rundgang durch unser elektronisches Archiv ergibt Tausende Genitiv-Konstruktionen, bei der SZ ebenso wie bei den übrigen Medien, und wer das Internet nach den Rektionsgepflogenheiten bei der Präposition nahe befragt, wird zu dem überschlägigen Ergebnis kommen, dass auf zwei richtige Dative je ein falscher Genitiv entfällt. Gibt man "nahe des *" ein, stößt man übrigens sehr schnell auf den Treffer "Nahe des Geliebten", der aber nur halb so schlimm ist, wie er sich liest. Er findet sich auf einer englischsprachigen Seite, die auch die Schubert-Lieder "Tranenregen", "Tauschung" und "Der Doppelganger" führt.

Der Sprachwissenschaftler Christian Fischer schreibt in Münster in der Bibliothek des Germanistischen Instituts der Westfälischen Wilhelms-Universität für eine Fotoillustration die Worte 'Die deutsche Sprache' an eine Tafel. (Foto: ddp)

DIE KOLLEGEN VOM MAGAZIN sind zwar anders als wir vom sogenannten Hauptblatt, aber so verrucht, wie unser Leser v. C. vermutet, sind sie nun auch wieder nicht. Corpus Delicti ist folgender Satz: "Alter, in dem der Sultan von Oman seinen Vater vom Thron putschte und ihn bestieg, in Jahren: 29." Es handelte sich dabei um eine Werbung der Zeitschrift brand eins , und bevor nun auch noch eine Fatwa oder so etwas an sie, das Magazin oder gar uns ergeht, stellen wir richtig, dass der Sultan von Oman damals ausschließlich den Thron bestieg. Sein Vater benahm sich, wie man vielleicht erwähnen sollte, bei Gelegenheit dieses Herrschaftswechsels heldenhaft. Er schoss sich beim Nachladen seiner Pistole selbst in den Fuß, dankte ab und ging ins Exil nach London.

WIE HAT PETER MATIC Prousts "Recherche" auf die 128 CDs gebracht, die dafür nötig waren? Unserem Literaturteil zufolge hat er das Riesenwerk "eingelesen", in Analogie zu Künstlern, die eine Symphonie "einspielen" oder eine Arie "einsingen". Unseren Leser Dr. R. hat das zu der Scherzfrage bewogen, ob Frau Mutter dann wohl Beethovens Violinkonzert "einstreiche" oder der Hammerflügelkünstler Steiner seine Sachen "einhämmere". In der Tat ist das Wort "einlesen" eine etwas riskante Wahl, weil es schon anderweitig besetzt ist: Dateien einlesen, eine Chipkarte einlesen usw. Auch hat Matic, genau betrachtet, die "Suche nach der verlorenen Zeit" ja nicht eingelesen, sondern eingesprochen. Dennoch scheint uns "einlesen", auch im Hinblick auf das darin enthaltene Einbringen von Früchten, eine schöne Bezeichnung für diese Ernteleistung zu sein, und so sei denn Herr Dr. R. auch unsererseits "herzlich eingegrüßt".

© SZ vom 02./03.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: