Sprachlabor (79):"Die Sonne zeitiget alles"

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger überprüft eine Diagnose und wundert sich.

DIE PLÜNDERUNG ROMS durch die Westgoten hat 1600 Jahre später noch etwas gezeitigt, nämlich die Frage, ob es von dem Wort zeitigen auch ein Passiv gibt. In einer Rezension war die Rede von der "uferlosen Literatur, die von diesem Ereignis gezeitigt wurde" (von der Plünderung, nicht vom Passivproblem), und unserer Leserin Dr. Sch. kommt das, wie man im Hinblick auf den Schwerpunkt des Westgotenreichs vielleicht sagen darf, spanisch vor. Das Labor schließt sich dem instinktiv an, und die im Duden aufgeführten, samt und sonders aktiven Beispiele geben Frau Sch. und unserem Instinkt recht. Bei Grimm findet man zwar unter vielen aktiven Belegen auch "die gezeitigte Frucht", aber da diese Stelle aus einem Weingedicht Emanuel Geibels stammt, ist sie wohl nicht repräsentativ oder gar bindend. Adelung bezeichnet zeitigen als "ein Activum" mit der Bedeutung "zeitig oder reif machen". Sein Musterbeispiel lautet: "Die Sonne zeitiget alles", und wenn dabei auch für diesen Text ein wenig Reife abgefallen sein sollte, wäre das schön.

Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum. Auch die Privatbibliothek der Brüder Grimm als Namensgeber hat dort ihren Platz. (Foto: dpa)

DAS RÄTSEL NORDKOREAist um eine Nuance reicher. Wie ist man dort? "Man ist klaustrophob und hält sich bedeckt", hieß es in einem Korrespondentenbericht, und unser Leser Dr. S. riet uns, diese Diagnose zu überprüfen. Sie ist weiß Gott undurchsichtig, jedenfalls so lange unklar bleibt, wer mit "man" gemeint ist. Klaustrophobie ist die Angst vor geschlossenen Räumen, es kommt zu Hyperventilation und Schweißausbrüchen. Unter dieser Angst leidet in Nordkorea die Bevölkerung, der es lieb wäre, sich nicht bedeckt halten zu müssen. Anders das Regime. Das hält sich in der Tat so bedeckt, wie man sich nur bedeckt halten kann, doch im Gegensatz zum Volk scheint es den geschlossenen Raum zu mögen und als sein eigentliches Biotop zu betrachten. Wie es aussieht, handelt es sich um den derzeit schwersten Fall von Klaustrophilie weltweit.

AUF SPIELPLÄTZENist öfter die Hölle los, als man denkt. Bei so einem Inferno gerieten in Germering einmal zwei Familien aneinander, wobei die Oma der einen die Mutter der anderen verprügelte. Die Sache kam vor Gericht und in unser Blatt, Letzteres in dieser Form: "Die Angeklagte beteuerte zwar die Schläge, Zeugen widersprachen ihr aber. Das Gericht glaubte diesen mehr." Dass die Oma trotzdem verurteilt wurde, dürfte nicht nur unseren Leser v. C. verwundern.

© SZ vom 18./19.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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