Sprachlabor (75):Kein beichtstuhlpflichtiger Platzhalter

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger erklärt einen bayerischen Fluch.

ÜBER TOTE solle man "nur Gutes sagen", war kürzlich in Anlehnung an das lateinische "De mortuis nil nisi bene" bei uns zu lesen, eine Version, die den Leser T. auf den Plan rief. Richtig übersetzt fordere dieser ursprünglich Chilon von Sparta, einem der Sieben Weisen, zugeordnete Spruch, dass man von den Toten nur gut reden solle, also in guter, schonender, wohlwollender Weise, aber nicht notwendig unter Anführung guter Taten. Das sei, fährt Herr T. fort, "ein himmel- oder auch höllenweiter Unterschied". Um einen Klassiker aus dieser Sphäre zu bemühen: Ein jüdischer Gauner wird gehängt, kann aber nicht begraben werden, ehe jemand gut von ihm gesprochen hat. Da geht der Rabbi zum Galgen, schaut hinauf und sagt: "Schön hängt er da." Der alte Chilon hätte seine Freude daran gehabt.

Der Band 'Zitate und Aussprüche' aus der Duden-Standardreihe. (Foto: ag.dpa)

EIN JEGLICHES hat seine Zeit, heißt es in Prediger 3, 1 ff., Geborenwerden und Sterben, Lachen und Weinen, Töten und Heilen, und da möchte man doch meinen, dass auch Herrschaften ihre Zeit haben: Herrschaftszeiten. In jüngster Zeit wurde dieser Ausdruck bei uns ein paarmal verwendet, wenn auch nicht immer in dem angedeuteten Sinn, sondern im Sinn jenes bayerischen Fluchs, der sich wie "Heaschaffzeitn" anhört und offenlässt, wie die Konsonantenballung an der Wortfuge auszusehen hat: ftz, ftsz, fts oder stss. Es waren zwei Damen, die Leserinnen B. und K., die sich an der Schreibweise "Herrschaftszeiten" stießen, und das mit gutem, malediktologisch höchst triftigem Grund. Schon der Ausruf "Herrschaft (noch mal)!" ist ein, wie Frau K. sagt, nicht beichtstuhlpflichtiger Platzhalter für den eigentlich beabsichtigten Fluch "Herrgott!", und ähnlich verhüllend beziehungsweise ausweichend ist das Wort "Herrschaftseiten", was immer sich an Sakrileg dahinter verbergen mag. Es gehört in eine Reihe mit "Kruzitürken" oder "Sacklzement", bei denen ja auch weit und breit weder Türke noch Zement zu sehen sind. Insofern wäre es freilich auch schon wieder wurscht, wie es geschrieben wird, nicht wahr.

Kleiner Nachtrag: Der Schimpfwortforscher Reinhold Aman führt nur den "Heaschaftsgrippe". Das ist keine neue Krankheit, sondern ein altes Phänomen, nämlich das schlecht erzogene Kind reicher Leute, sogenannter Herrschaften.

© SZ vom 20.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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