Sprachlabor (72):Lateingrammatik bereithalten

Lesezeit: 2 min

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger erklärt Zeugma und stellt sich eine alte Frage.

WENN LESERBRIEFEmit dem Ausruf "Si tacuisses . . ." beginnen, legen wir schon mal die alte Lateingrammatik bereit. Bei Leser S., der ebenfalls mit diesem geflügelten Wort anhub, mussten wir sie aber nicht aufschlagen, denn dass das schreckliche Jahr, das der DFB einem Kommentar zufolge hinter sich hat, nicht annus horribile heißt, sondern annus horribilis , war uns gottlob noch präsent, und der Lapsus wird sich hoffentlich nicht wiederholen. (Bei der Gelegenheit haben wir mal nachgeschaut, woher "Si tacuisses" eigentlich kommt. Es stammt von Boëthius, und zwar aus seinem "Trost der Philosophie", den wir gerade in Fällen wie diesem nur allzu gern in Anspruch nehmen.)

Der 'Thesaurus' ist das weltweit grösste Wörterbuch der lateinischen Sprache. Die Arbeit daran wurde im 19. Jahrhundert begonnen. und dauert noch an. Die Daten zum 'Thesaurus'  werden in mehreren tausend Kartei-Kästen gesammelt. (Foto: ddp)

DAMIT ZUM GRIECHISCHEN! Zeugma bedeutet Zusammenjochung , und man bezeichnet damit in der Stilistik eine Redefigur, bei der sich ein Prädikat auf zwei oder mehrere Subjekte bezieht, obwohl es streng genommen nur zu einem passt. Ein klassisches Zeugma findet sich in Luthers Übersetzung von Psalm 34, 16, die so lautet: "Die Augen des HERRN sehen auff die Gerechten / Vnd seine Ohren auff jr schreien." Das den Ohren eigene und für die Wahrnehmung des Geschreis bitter notwendige Hören wird durch das vorangehende Sehen der Augen abgedeckt, der Sinn leidet keinen Schaden. Nun gibt es auch Zeugmata, die ersichtlich auf Jux aus sind: "Er schlug das Fenster und den Weg nach Hause ein." Zwischen diesen Polen lebt ein Zeugma, das Leser H. mit Lust exzerpiert hat: "Kanzleramtschef Ronald Pofalla trägt zum Durcheinander in der Koalition bei, aber nicht die alleinige Schuld daran." Das liest sich zunächst harmlos, ja vernünftig, ist es aber nicht, weil die Verben beitragen und tragen unter der Hand in eins gesetzt werden. H. rät zur Nagelprobe, zur Transposition des Satzes ins Futur: "Pofalla wird zum Durcheinander beitragen, aber . . . - " Aus diesem Durcheinander kommt der Kanzleramtschef so schnell nicht mehr raus.

DIE ALTE FRAGE, ob sich der Eiserne Vorhang mit der Wende gehoben hat oder ob er gefallen ist, will Leser W. geklärt sehen. In aller Regel lässt man ihn fallen, in Analogie zur Mauer, die ja auch nach unten zusammengekracht ist. Nimmt man den eisernen Vorhang des Theaters zum Vorbild, der nach der Vorstellung fällt und geschlossen bleibt, so hat der politische Eiserne Vorhang sich gehoben. Seitdem gibt man en suite und mit einigem Erfolg "Das wiedervereinigte Deutschland", dessen Libretto Helmut Kohl zugeschrieben wird.

© SZ vom 31.07./01.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: