Sprachlabor (223):Bitte keine Sonderschichten einlegen

Lesezeit: 2 min

Ein Mann überquert im Regen eine Straße in Caracas am 4. November 2013. (Foto: AFP)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger löst so manche Rätsel auf.

DIE MORDRATE sei "katastrophal", hatte es in einem Bericht aus Venezuela geheißen. Hoffentlich fühlten die dortigen Mörder sich dadurch nicht ermuntert, womöglich Sonderschichten einzulegen.

"DINGE GEHEN VOR im Mond, / die das Kalb selbst nicht gewohnt", schrieb Christian Morgenstern, und ähnlich Seltsames begibt sich auch am Mainfranken-Theater Würzburg. In einem Bericht darüber fand unser Leser K. den Satz "1965 erbaut, fehlt es mittlerweile an fast allem", und nun rätselt er herum, was wohl dieses "es" sei, das 1965 erbaut wurde und nun so schmerzlich fehlt. Das Theater kann es nicht sein, denn das ist ja noch da . . .

WER BERGFÜHRER/Bergführerin werden will, muss das Bergsteigen beherrschen. Das sollte bei uns mit dem Satz "Bergsteiger müssen die Frauen und Männer schon vorher sein" ausgedrückt werden, in dem man auch gern die Information, dass sich weniger Frauen als Männer bewerben, in Parenthese untergebracht hätte. Der Satz lautete nun so: "Bergsteiger müssen die Frauen - von denen es immer noch nicht sehr viele gibt - und Männer schon vorher sein." Leser H. wurde bei Lektüre dieser Konstruktion klar, woran die Frauenquote scheitert: daran, dass es kaum Frauen gibt. Die Statistik sieht das anders, jedenfalls für Deutschland. Von den 81,75 Millionen Einwohnern im Jahr 2010 waren 50,9 Prozent weiblich, in summa 41 610 750. Nicht auszudenken, wenn die alle auch noch in die Berge gingen!

SEIN DEUTSCHLEHRER, schreibt uns Leser K., hätte es ihm als Ausdrucksfehler angekreidet, wenn er wohl in der Bedeutung von vermutlich oder wahrscheinlich verwendet hätte. Nun ist das mit dem passenden Ausdruck ja so eine Sache. Da verläuft man sich leicht ins Geschmäcklerische und gibt für richtig aus, was einem persönlich zusagt. Dass die Adverbien vermutlich und wahrscheinlich kräftiger, substanzieller und treffender wirken als wohl , kann man wohl sagen, aber ein Urteil über wohl ist damit nicht gesprochen. Ein Blick in Grimms Wörterbuch schadet auch hier nicht. Dort heißt es (Bd. 30, Sp. 1062), dass sich aus dem beteuernden wohl die Bedeutung vielleicht, vermutlich entwickelt habe und dass dieses wohl "in neuerer sprache in breiter verwendung" sei. Unter den Belegen findet sich ein Zitat, worin wohl im Sinn von möglicherweise gebraucht wird: "So klingt das ja so gar - so gar unglaublich, / Dass an der ganzen Sache wohl nichts ist." In "neuerer sprache" ist das zwar nicht, aber immerhin aus Lessings "Nathan".

© SZ vom 16./17.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: