Sprachlabor (215):Wenn es syntaktisch wehtut

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Vor einer mit lateinischen Sprichwörtern beschriebenen Tafel erteilt eine Lehrerin im Alten Gymnsium von Bremen Lateinunterricht. (Foto: dpa/dpaweb)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger löst wieder knifflige Fälle.

RENÉ DESCARTES bezeichnet es in seinen "Principia philosophiae" als einen Widerspruch, "dass das, was denkt, zu dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht existiert", weswegen denn auch das "Ich denke, also bin ich" die erste und sicherste Erkenntnis sei, "die sich jedem ordnungsgemäß Philosophierenden darbietet". Das hat der Welt den Merksatz "Cogito ergo sum" beschert, der wie kein zweiter verwendet, verändert und verballhornt wird - der Sprichwortforscher Wolfgang Mieder hat das in einer Monografie fein zusammengefasst. Zahllose parodistische Abwandlungen geistern durch die Literatur, und insbesondere die Presse hat, wenn es ums Erfinden witziger Überschriften geht, einen Affen an dem Bonmot gefressen. Wo ist die Grenze? Das Gefühl fürs Lateinische sieht sie da, wo die Neubildung zwar noch einen Sinn ergibt, aber syntaktisch wehtut. So könnte man sich "Cogito ergo consum" und "Coito ergo sum" sehr wohl gefallen lassen, wohingegen das bei uns verwendete, von Leser Sch. als originalitätssüchtig getadelte "Incognito ergo sum" daran krankt, dass es nur als deutscher - und auch da bestenfalls mäßiger - Joke durchgeht.

DASS ANGELA MERKEL die Regierungschefin und nicht etwa der Regierungschef ist, muss nicht erläutert werden; allenfalls könnte man sagen, sie sei der Boss , zumindest so lange, bis die Bossin sich sprachlich an die Spitze gearbeitet hat. Knifflig wird es in einem Fall wie diesem: Bei uns stand, dass Merkel "als erster deutscher Regierungschef" das KZ Dachau besucht habe, was Leser L. zu der Frage bewog, ob es nicht "als erste Regierungschefin der Bundesrepublik" hätte heißen müssen. Knifflig ist die Sache darum, weil L.s Formulierung den Eindruck erwecken könnte, Merkel sei unter den Regierungschefinnen der BRD die erste Dachaubesucherin gewesen, was ebenso wenig stimmt wie die Zuschreibung "erster Regierungschef". Man sieht daran, wie gut es auch für die Sprachsicherheit wäre, wenn eine Zeit lang nur noch Frauen ins Kanzleramt kämen.

DAS SCHREIBPROGRAMM WORD gibt insofern Rätsel auf, als es bei uns das Wort Schurrpfeifereien rot unterringelt, bei Leserin K. hingegen nicht. Loben wir also unsere Version, auch wenn sie nicht in der Lage war, als Ersatz für die falschen Schurrpfeifereien die richtigen Schnurrpfeifereien anzubieten. Hätte es das geleistet, wären die ficta rerum aus Horazens Satiren bei uns nicht als Schurrpfeifereien wiedergegeben worden. Vae , wie der Lateiner sagt, also wehe. Schriebe man whe, würde Word das zuverlässig unterringeln.

© SZ vom 07./08.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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