Sprachlabor (214):Ein extravagantes Wort

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Die restaurierte Handschrift von Friedrich Schiller aus dem Rollenbuch "Die Räuber" ist im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar zu sehen. (Foto: Jens Büttner/dpa)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger zitiert aus der Bibel.

IN SCHILLERS "KABALE UND LIEBE" gibt es einen Dialog, in dessen Verlauf der Hofmarschall von Kalb sagt, ihm stehe der Verstand still. "Das könnte noch hingehen", erwidert Präsident von Walter trocken und fährt fort: "Aber zugleich hinterbringen mir meine Spionen, dass der Oberschenk von Bock auf dem Sprunge sei, um die Lady zu werben." Das Verbum hinterbringen wurde unlängst auch bei uns verwendet, was Leserin T., der es unbekannt war, irritierte. Wie geläufig es sei, will sie nun wissen. Sagen wir es so: Es gibt geläufigere Wörter. Völlig aus der Mode ist hinterbringen aber deshalb noch lange nicht, und es wäre auch schade darum, denn es drückt den Vorgang, dass man etwas, das man nicht wissen sollte, auf Umwegen gesteckt bekommt, so bündig und sprechend wie möglich aus. Da sich der Text, in dem es vorkam, sachlich wie stilistisch hervortat, war es nur billig, dass sein Autor zu diesem leicht extravaganten Wort griff.

OB STEINBRÜCK unsere Sprache verdreht habe, fragt Herr R., der sich, wie andere Leser auch, daran stieß, dass der Kanzlerkandidat "billigere Strompreise" versprochen habe. In der Sache haben sie natürlich recht: Nicht die Strompreise sind billig, sondern der Strom, und auch der nur, wenn die Preise niedrig sind. Hinter diesem Faktum tut sich aber die weite Welt der sprachlichen Freiheit beziehungsweise Inkonsequenz auf, und dort verhält es sich mit den billigen Preisen so ähnlich wie mit den sprichwörtlichen lustigen Tagen, die ja ihrer Natur nach auch weder lustig noch traurig sein können, aber so genannt werden, weil die Leute an ihnen lustig oder traurig sind. Wie alt solche Bedeutungsübertragungen sind, sieht man in der Bibel, die Jesus in Mt 24,7 sagen lässt, dass "Pestilenz und theure Zeit" kommen werden. Möge Steinbrück dafür sorgen, dass uns, und zwar nicht nur was den Strom angeht, theure Zeiten erspart bleiben!

APROPOS BIBEL: Darin kommt, beispielsweise in Ps 188,22, auch der von den Bauleuten verworfene Stein vor, der danach zum Eckstein wird, also zu einem wichtigen Teil des Bauwerks. Ihm gleicht an Bedeutung der Eckpfeiler, der zusammen mit den anderen Eckpfeilern das Gebäude trägt oder stützt (und dabei wahrscheinlich sogar auf dem Eckstein steht). Bei uns erfuhr er insofern eine weitere Aufwertung, als wir den Ausbau der Windkraft als "zentralen Eckpfeiler der Energiewende" sahen. Für Leser K. ergab sich daraus eine schöne Perspektive. "Wenn man", schrieb er, "vier davon hätte, könnte eines Tages sogar die Quadratur des Kreises gelingen."

© SZ vom 31.08./01.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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