Sprachlabor (21):Dringend zum Doktoren

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger über einen hoffentlich korrekten Wikipedia-Artikel, echauffierende Zeitläufte und Nasenbluten.

ÜBLICHERWEISE geht es in dieser Rubrik um Fragen des Deutschen, doch da sich das Streiflicht unlängst dazu verstieg, die Tomate aus der Sprache der Inka herzuleiten, muss heute kurz das Nahuatl gestreift werden. Das nämlich ist, wie kundige Leser anmerkten, der Boden, auf dem die xitomatl einst heranreifte, aber es war nicht die Sprache der Inka, sondern der Azteken. Um von ihr einen Begriff zu geben, entnehmen wir dem hoffentlich korrekten Wikipedia-Artikel die Übersetzung des Satzes "Ihr ehrenwerten Menschen könntet gekommen sein und euch eure Nasen gestoßen haben, so dass sie bluten, aber tatsächlich habt ihr es nicht getan." Auf Nahuatl kann man das mit einem einzigem Wort sagen, einem sehr langen allerdings: "nehualmoyecastemojmolunijtzinutinemisquiöni." Sieht gut aus, spricht sich aber verdammt schwer.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: Foto: dpa)

STEHT IN EINER FUSSNOTE "passim", heißt das, dass sich ein Sachverhalt durch den ganzen Text zieht. So war wohl auch der Brief gedacht, in dem sich Leser T. über das Wort Zeitläufte echauffierte, ohne genauere Belege anzuführen. (In der SZ kommt es übrigens relativ selten vor, schätzungsweise fünfzehnmal pro Jahr.) Herr T. wollte in seinem Zorn nichts erklärt haben, doch da dies auch eine Finte sein könnte, sei hier kurz wiedergegeben, was Grimm zu den (Zeit-)Läuften sagt. Er spricht von ihnen als "von ganzen zeitabschnitten und den in ihnen geschehenden ereignissen", und keiner von denen, die das alte Wort heute noch benutzen, wird behaupten wollen, dass ihm dieser Sinn gegenwärtig sei. Unser Tipp: Zeitläufte nur dann verwenden, wenn sich im selben Satz auch sintemal, Eidam und Afterrede zwanglos unterbringen lassen.

DIE CHRONIK des Kirchspiels Steinbek vermerkt für 1596: "Dem Pastoren wegen der Kirchen verehret 20 Rthlr." 413 Jahre später stand in der SZ, dass es beim "Marienhof" einen Führungswechsel gegeben habe, der der Soap auch gleich "einen neuen Chefautoren" beschert habe. Unser Leser M. hat die Vorabendserie zwar noch nie gesehen, weiß dafür aber, dass der Autor den Regeln der starken Deklination unterliegt und folglich im Dativ und Akkusativ ohne -en bleibt. Schreibern, die da unsicher sind, rät er, sich in Zweifelsfällen folgenden Merksatz vorzusagen: "Ich muss heute dringend zum Doktoren."

© SZ vom 04.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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