Sprachlabor (206):Sicherer Boden

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Ein alter Ford steht am 29. Juni 2013 während eines Zwischenstopps auf dem Römerberg in Frankfurt am Main (Hessen). Ein Korso von Erlensee über Frankfurt nach Wiesbaden mit rund 30 historischen Fahrzeugen erinnert an den Besuch des US-Präsidenten John F. Kennedy vor 50 Jahren in Hessen. (Foto: dpa)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger klärt Unstimmigkeiten.

AUSRUTSCHER gibt es, die selbst bei strengeren Lesern nur ein wissendes Schmunzeln auslösen - wissend deswegen, weil sie den, der da ausrutscht, als sonst trittsicher kennen und schätzen. So gab es auch keinen großen Aufstand, als ein Kollege John F. Kennedy in der Tradition jenes säkularisierten Predigertons stehen sah, der "in Amerika besonders gedeihte". Stellvertretend für alle, die den Lapsus bemerkt hatten, sei Leser H. zitiert, der fremde Geheimdienste dahinter vermutete und der Hoffnung Ausdruck verleihte, sie würden den Kollegen "sicherlich auf den Boden der starken Verben zurückbringen".

KONGRUENZ kommt von congruere gleich übereinstimmen . Dessen ungeachtet gibt es in Fragen der grammatischen Kongruenz immer wieder Unstimmigkeiten, so bei dem von unserem Leser H. vorgelegten Fall mit der Million: Heißt es "eine Million Menschen protestieren" oder "eine Million Menschen protestiert"? Die Grammatiken helfen uns mit erfreulich großzügigen Regeln aus diesem Dilemma. Die Million ist in dem Zusammenhang zu behandeln wie die Handvoll , der Kreis , die Schar, die Gruppe und noch einige singularische Mengenangaben. Streng genommen müsste das zu ihnen gehörende Verb im Singular stehen: Zum Vortrag kam nur eine Handvoll Eingeweihte . Man darf sich da aber auch nach dem Sinn richten, und dann steht der Handvoll ein Verb im Plural zu: Zum Vortrag kamen nur eine Handvoll Eingeweihte. Gern wird zur Untermauerung Thomas Manns "Zauberberg" herangezogen: "Eine Reihe von edlen und nüchternen Geistern haben den Rauchtabak verabscheut."

MANCHE LESER haben es faustdick hinter den Ohren. Herr G., ein emeritierter Kollege übrigens, frägt an, ob es in Ordnung sei, Witterung und Wetter gleichzusetzen: Das eine sei doch "nur die tierische Wahrnehmung fremden Einflusses", das andere das bekannte Naturphänomen. "Liege ich völlig daneben?", will er wissen. Die Antwort: Na ja. Um dieser Antwort die nötige Autorität zu geben, sei zitiert, was Adelung vor langer Zeit zum Stichwort Witterung eingefallen ist. Erstens: "Der merklich veränderliche Zustand der Atmosphäre, als ein Collectivum, mehrere Beschaffenheiten dieser Art zu bezeichnen, wodurch es sich von Wetter unterscheidet, welches nur eine einzelne Beschaffenheit andeutet." Zweitens: Ein im Bergbau üblicher Terminus. Drittens: "Von wittern, riechen, ist die Witterung der objective Geruch, besonders bey den Jägern." Daraus resultierend viertens: "Ein stark riechender Körper, wilde Thiere damit anzulocken, er bestehe nun, woraus er wolle."

© SZ vom 06./07.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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