Sprachlabor (205):Lieber nicht verwenden!

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Ein Merkzettel mit dem Hinweis "neu" klebt am 29. Juni 2013 in Berlin unter dem Begriff Vollpfosten, umgangssprachlich für einen sehr dummen Menschen, im neuen Duden des Jahres 2013. Das Wort gehört zu den Neuaufnahmen in der 26. Auflage des Wörterbuches der deutschen Sprache. (Foto: dpa)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger und der Deppendativ und der Deppengenitiv.

DAS VOKABULAR DER UNMENSCHEN ist von einer Art, dass man es unkommentiert nicht verwenden sollte. Insofern ist unserem Leser L. zuzustimmen, wenn er die "ethnische Säuberung" im Blatt nicht so vorfinden will, als sei sie ein gängiges Verfahren. Es handle sich, schreibt er, dabei um die Sprache der Täter; der Terminus "degradiert die Opfer zur lästigen Sache, die beseitigt werden muss". Das ist wahr, und die von Herrn L. gemeinte Stelle ("eine Blutundbodentruppe, von der man doch wusste, dass ethnische Säuberung ihr Markenzeichen war") hätte keinen Schaden genommen, wenn die Untat zwischen Gänsefüßchen gestellt oder durch "sogenannt" markiert worden wäre.

DER "DEPPENDATIV" kommt in der Laiensprachkritik fast so oft vor wie der "Deppenapostroph", ist aber im Gegensatz zu diesem noch nicht ausdefiniert. Viele halten ihn für den Dativ nach Präpositionen wie wegen ("Wegen dem Umzug geschlossen") und werden, wie einer von ihnen im Internet schrieb, "so richtig aggro" davon. Aggro wurde Leser Dr. Sch. nicht, subsumierte unter der Bezeichnung Deppendativ aber auch den Kasusbruch bei Appositionen, ein Fehler, der so häufig anzutreffen ist, als handle es sich ums Reguläre (die Formulierung "ein Fehler" in diesem Satz müsste "einen Fehler" lauten, wäre also ein Deppennominativ). Hier der bei uns gefundene Satz: "Die deutsche Literatur hat für Systemabstürze wie dem bei Suhrkamp keine Sprache und keine Vorbilder hinterlassen." Dr. Sch. führt den falschen Dativ "wie dem" auf diesen Mechanismus zurück: Der Schreiber wisse, dass er einen obliquen Kasus verwenden müsse. Da er aber nur schwach in Grammatik ist, die Konzentration verloren hat oder zu schnell schreiben muss, gehe ihm das Gespür dafür verloren, welche flektierte Form nötig ist. Ohne den Lapsus wegreden zu wollen, verweist unser Kollege auf Sprachwissenschaftler wie Eisenberg, die "in diesen Fragen zu deskriptiver Lässlichkeit und nicht zu normativer Konsequenz" neigen.

UND DER "DEPPENGENITIV?" Unser Leser Sch. vermeidet dieses Wort, sieht aber den Dativ durch ihn bedroht, und das ebenfalls bei den Präpositionen. Er nennt Formulierungen wie "entgegen des ursprünglichen Auftrags" und meint, durch die Frage "Wem oder was entgegen?" hätte man auf die richtige Version "entgegen dem ursprünglichen Auftrag" kommen können, nein: müssen. Auch bei "dank der neuen Medien" (statt: dank den) rät er, "sich nicht so ohne Weiteres derartiger Entsinnlichung" anheimzugeben.

© SZ vom 29./30.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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