Sprachlabor (198):Nicht erfunden, sondern zugefallen

Lesezeit: 2 min

Ein ICE der Deutschen Bahn (DB) fährt in den Bahnhof von Frankfurt am Main ein. (Foto: dpa)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger will nicht das letzte Wort haben.

LESERBRIEFE werden auch auf allfällige Fehler durchgesehen, doch geht diese Fürsorge nie so weit, dass in die Substanz eingegriffen würde. Leser B. meint indessen, dass man eine Leserbriefschreiberin vor der Formulierung "Kippen ins Bahngleis zu werfen" hätte bewahren müssen. "Ins Gleis", sagt er, könne man nichts werfen, höchstens "zwischen/unter die Gleise". Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Gleise gleichbedeutend mit den Schienen seien, was aber nicht stimmt. Laut Brockhaus ist das Gleis die Fahrbahn des Zugs, und es besteht aus "Schienen, Schwellen und Schienenverbindungs- und -befestigungsmitteln". Den Begriff Gleis hat die Eisenbahn nicht erfunden; er ist ihr aus dem alten deutschen Sprachschatz zugefallen, in dem mit dem Gleis die fortlaufende Spur eines Wagens gemeint war.

"FREMDE FEDERN" können ebenfalls darauf bauen, dass in ihre Texte nicht ohne Not eingegriffen wird. Diese Not war freilich gegeben, als einer dieser geschätzten Autoren kürzlich "dadurch . . ., weil" statt "dadurch . . ., dass" schrieb. Dadurch, dass dies nicht korrigiert wurde, entstand eine Art von weißem Schimmel: dadurch, dass bedeutet nämlich schon weil .

DER OBIGE GASTBEITRAG stand auf der Rückseite einer Titelseite, und auf dieser wurde, noch dazu im "Streiflicht", das Adverb "insofern" mit "als dass" weitergeführt. "Die überflüssige Subjunktion ,dass' stört schon empfindlich", schrieb Leser E., doch gab es in dem Text etwas, was noch weit empfindlicher störte. Es war der Satz: "Papin ist natürlich kein Dorf in der Uckermark, sondern ein französischer Name, was Beckenbauer wusste, ihn aber nicht kümmerte." Da man Gebilde wie dieses öfter vorfindet, ist anzunehmen, dass der Schmerz, den sie auslösen oder auslösen müssten, mancherorts nicht mehr empfunden wird. Es geht um das kleine Wörtchen was , ein Relativpronomen, das in unserem Beispiel im Akkusativ auftritt. So weit stimmt die Sache. Das zweite was , das vor "ihn aber" nötig gewesen wäre, glaubte der Autor einsparen zu können. Ein fataler Irrglaube, weil das was ja nun im Nominativ steht, sich also vom Akkusativobjekt zum Subjekt gewandelt hat. Da unser Leser E. Lehrer war, soll er auch das letzte Wort haben: "Sprachliche Sensibilität verbietet hier eine syntaktisch verschiedene Verwendung apo koinu . Korrekt ist vielmehr eine Wiederholung des Pronomens, auch wenn der Satz dann etwas umständlicher wirkt: ,. . . was Beckenbauer wusste, was ihn aber nicht kümmerte.'" Apo koinu? Das ist, sehr verkürzt gesagt, das Stilmittel der Worteinsparung.

© SZ vom 11./12.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: