Sprachlabor (188):Unverständlich und exotisch

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Das Wort "Buch" ist im Duden mit seiner Aussprache und den Bedeutungen aufgeführt. (Foto: dpa)

SZ-Redakteur Hermann Unterstöger verreisst nichts und holt jemand von der Palme.

IMMER WIEDER STOLPERE sie bei uns über das ihr unverständliche und exotisch, ja piefkenesisch vorkommende Adjektiv "bräsig", klagt Leserin B. Was dieses "immer wieder" angeht, so sagt uns das Archiv, dass wir das Wort im Jahr 2012 zweimal verwendeten, in den letzten zehn Jahren zweiundsechzigmal. Dem Duden zufolge kommt "bräsig" aus dem Niederdeutschen und bedeutet zunächst "kräftig" und "wohlgenährt", im weiteren Sinn "dickfellig". Wovon das Adjektiv sich herleitet, wird verschwiegen, doch könnte man über die Wohlgenährtheit auf das alte Wort "Bras" (Schmaus) verfallen. Fritz Reuter lässt in seinem Roman "Ut mine Stromtid" den "Entspekter" Zacharias Bräsig auftreten, der einmal "so recht gnittig vör sick hen" lacht. Gnittig? Da hätten wir wieder mal so ein Wort zum Einbürgern . . .

GRAF LUCKNER pflegte, wie unser Leser Dr. B. schreibt, vor einem interessierten Publikum Telefonbücher zu zerreißen. Der Mann tat das nicht, um sein Missfallen am Inhalt dieser Werke kundzutun, sondern um der Gaudi und Kraftmeierei willen. Bei uns hieß es, die amerikanische Presse habe ein Buch Tom Wolfes "in seltener Einmütigkeit zerrissen", ein Vorgang, für den Herr Dr. B. lieber den Fachausdruck "verrissen" gesehen hätte. Über Graf Luckner kann man übrigens lesen, dass er vor dem Zerreißen von Telefonbüchern mit dem angefeilten Daumennagel eine Kerbe in den Buchblock gesägt und sich so das Kunststück wesentlich erleichtert habe. Dies zur Ergänzung, nicht als Verriss.

FAST NUR NOCH AUF DER PALME sitzt unser alter Freund und Leser S. Schuld daran ist die Kongruenz, präziser: die nicht verwirklichte Kongruenz. Es gibt ja im Deutschen die ebenso kluge wie schöne Regelung, dass eine Apposition sich im Kasus nach dem Wort richtet, dem sie zugeordnet ist. Es heißt also In Konstanz, der schönen Stadt am Bodensee und nicht In Konstanz, die schöne Stadt am Bodensee . Der japanische Premier Shinzo Abe wurde kürzlich so charakterisiert: "Abe ist der Enkel des einstigen (. . .) Regierungschefs Nobusuke Kishi, ein Mann, den die (. . .) Besatzer nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst als Kriegsverbrecher einsperrten . . ." In dieser Form kann der Satz nur so verstanden werden, dass Shinzo Abe nach Kriegsende von den Amerikanern eingesperrt worden sei, was schon darum unmöglich ist, weil Abe erst 1954 zur Welt kam, also sechs Jahre nachdem sein Großvater bereits wieder aus dem Gefängnis entlassen worden war. Somit gilt: Abe ist der Enkel Kishis, eines Mannes, den usw., und Herr S. kann für heute von der Palme heruntersteigen.

© SZ vom 16./17.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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