Sprachlabor (169):Titan der deutschen Dichtung

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger hat die nötige Zauberformel und belegt eine Verfehlung.

Die etwa zehn Meter hohe Pyramidenkonstruktion aus bemalten textilen Dreiecken, die Kinder und Jugendliche aus ganz Europa gestaltet haben, stand 1999 in der Nähe des Goethehauses auf dem Frauenplan. (Foto: AP)

DASS JEAN PAUL einerseits unter die Titanen der deutschen Dichtung gezählt, andererseits wenig gelesen wird, wurde bei uns so zusammengefasst, dass es mit seiner Rezeption ein "sehr eigenes Bewenden" habe. Dagegen protestierte Leser K. "als Freund von Sprache und Geist und Humor und demgemäß Verehrer von Jean Paul" schärfstens. In der Tat gibt es zwischen dem Bewenden und der (in diesem Kontext einzig richtigen) Bewandtnis ungeachtet ihrer Verwandtschaft einen großen Unterschied: Während diese einen Umstand benennt, der für die in Rede stehende Sache wesentlich ist, signalisiert jene, dass man sich mit der Sache vorderhand nicht weiter beschäftigen will. Schön von Herrn K., dass er seinen Protest mit dem Aperçu würzte, das Jean Paul in den Sinn kam, nachdem er am 17. Juni 1796 am Frauenplan zu Mittag gegessen hatte: "Auch frisset er entsetzlich." Dabei wollen wir's für diesmal bewenden lassen.

WEISSE SCHIMMEL laufen immer wieder durch unser Blatt, doch nun sieht Leser C. eine Häufung dieser Wesen. Er meint die Zeitverzögerung , die es als solche gar nicht geben könne, weil die Zeit . . . - aber genau hier lässt uns Herr C. im Stich, und diese Kolumne wird den Teufel tun und sich mit einem Privatissimum zum Wesen der Zeit und unserer Wahrnehmung derselben blamieren. Laut Herrn C. können "nur Abläufe, Prozesse, Vorgänge und Handlungen aller Art" verzögert werden. Nichtsdestoweniger lautet die dazu nötige Zauberformel: "Geh weiter, Zeit, bleib steh", und wir sollten allesamt froh sein, dass ihr Verfasser, der Poet Helmut Zöpfl, nicht "Geht's weiter, Handlungen aller Art, bleibt's steh" geschrieben hat.

DASS UNS PILOTEN SCHREIBEN, kommt nicht alle Tage vor. Leser Z. ist Pilot, und er schrieb uns wegen eines Unglücks in Konstanz, bei dem ein Sportflugzeug abstürzte und nur um Haaresbreite eine Menschenmenge . . . - ja was? Bei uns und in etlichen anderen Blättern war zu lesen, dass es die Menge "verfehlte", eine Wortwahl, die von der dpa vorgegeben worden war, deswegen jedoch um keinen Deut besser wird. Das Wort verfehlen mag zwar in einem sehr kalten technischen Sinn richtig sein, weil die Maschine tatsächlich und gottlob neben der Menschenmenge aufschlug. Die Intention von verfehlen ist aber eine völlig andere, wie man, wüsste man es nicht schon von sich aus, im Grimmschen Wörterbuch nachlesen kann, wo das Verbum mit "das erstrebte nicht erreichen" erklärt wird. An Belegen hat es keinen Mangel, einer davon findet sich in Schillers "Kabale und Liebe". Dort sagt Ferdinand zu seinem Vater, dem Präsidenten: "Ihre Wut war damals so gerecht, so edel, so väterlich warm - nur verfehlte der warme Vatereifer des Weges" (der schöne alte Genitiv gehört nicht zum Thema, geht aber als Zugabe mit).

© SZ vom 06./07.10.12 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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