Sprachlabor (160):"Völlig unverhofft"

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger verweist auf eine Redensart und das richtige Wort.

TODESANZEIGEN sollten vor sprachkritischen Mäkeleien sicher sein, selbst wenn die Erfahrung lehrt, dass gerade diese Gattung viel und oft sehr erheiterndes Material bietet. Im Schutz der Anonymität kann man jedoch über das reden, was unser Leser Professor Dr. L. anlässlich der Mitteilung, jemand sei "völlig unverhofft" gestorben, zur Diskussion stellt: dass unverhofft ausschließlich auf erfreuliche Ereignisse hinweise, auf solche "mit positiver Konnotation", was den angezeigten Sterbefall und besonders die Hinterbliebenen in einem eigenartigen Licht dastehen lasse. Zur Vermeidung dieses Zwielichts sollte man bei Todesanzeigen in der Tat auf unverhofft verzichten und auf unerwartet oder unvorhergesehen ausweichen. Im Alltagsgebrauch ist Herrn L.s "positive Konnotation" freilich nicht immer zu sehen. Schlagendster Beweis dafür: die Redensart "Unverhofft kommt oft", die ja auch Ereignisse negativer Qualität einschließt.

Die undatierte Aufnahme zeigt den Fremdsprachenunterricht im Sprachlabor einer Schule in Frankfurt am Main. (Foto: ag.dpa)

"WAS PASSIERT, wenn ich den Teller aufesse?" - "Das wird dir dein Zahnarzt dann schon sagen." Dialoge dieser Art umkreisen den Ausdruck seinen Teller aufessen , an dem sich jetzt Herr B. stieß. Er hatte bei uns gelesen, dass Nelson Mandela "immer seinen Teller aufgegessen" habe, und mutmaßte, dass der Mann über "einen robusten Magen" verfügt haben müsse. Keine Frage, Mandela hat seinen Teller nur leergegessen und dann in die Küche zurückgehen lassen. Dennoch sei auch hier auf eine Redensart verwiesen. Wenn es heißt: "Von fremden Tellern leben", so sind damit allemal die Lebensmittel gemeint, die man seinen Mitmenschen abluchst. Es findet also eine Namensvertauschung statt, die man Metonymie nennt und die unter den rhetorischen Stilfiguren nicht die geringste ist. Wie sehr diese Figur Gemeingut ist, sieht man daran, dass man in vielen Familien diesen Satz hören kann beziehungsweise konnte: "Der Teller wird aufgegessen, und damit basta!"

DAS WORT WORT zeigt seinen Rang auch dadurch, dass es zwei Pluralformen vorzuweisen hat: Wörter und Worte. Das Streiflicht entschied sich kürzlich für Worte und bekam dafür von Leser R. ein paar Worte der Belehrung. Es sei, schrieb er, eine "Binsenweisheit aus der Volksschule", dass der Plural Wörter die grammatische Einheit Wort im Auge habe ("Der Satz umfasst dreiundzwanzig Wörter"), wogegen man Worte sage, wenn man auf bedeutsam oder feierlich Gesprochenes abhebe ("Worte voll Salbung, voll Demut und Moral"). In Justus Georg Schottelius' "Ausführlicher Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache" (1663) hört sich das so an: "Wörter / pflegt man zu gebrauchen / wenn die Meinung auf etzliche entzele Wörter gerichtet ist: Worte aber / wann man eine gantze Meinung / so in den Worten bestehet / andeutet."

© SZ vom 04./05.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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