Sprachlabor (151):Faule Floskel

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger ergänzt, entwirrt und erklärt Wörter.

RAFFINIERTER sichert man sich das Wohlwollen des Empfängers nicht, als wenn man einen sprachkritischen Brief mit dem Satz beginnt: "Ich heiße nicht Karl Kraus und gehöre auch nicht zum querulatorischen Bodensatz der bundesrepublikanischen Gesellschaft!" Gott sei Dank nicht schon wieder der Kraus, denkt man sich und liest um einiges gelassener, worum es geht. Unserem Leser F. geht es um die Allerweltskonstruktion "Der Grund dafür liegt . . .", die in hohem Maß geeignet ist, ihm den Tag zu verderben. Was ist an der Floskel faul? Googelt man "Der Grund * liegt", erntet man rund 48 Millionen Treffer. Davon soll man sich jedoch nicht irritieren lassen, sondern fragen, warum der Grund für etwas nicht irgendwo liegen kann. Unsere Vermutung: Der Grund ist das Ergebnis dessen, dass bereits etwas irgendwo liegt, er kann also nicht selber liegen. Wenn beispielsweise der Hase im Pfeffer liegt, so ist das der Grund für dies oder das, aber deswegen wird der Grund doch dem Hasen den Platz im Pfeffer nicht streitig machen.

Eine Schülerin blättert in Berlin in der Mediathek der Carl-von-Ossietzky-Schule in einem Duden. (Foto: dapd)

DASS DAS WORT, einmal gesprochen, unwiederbringlich dahinfliegt, ist unter den Lebensweisheiten eine der beständigsten. Und das nicht gesprochene? Auch damit hat es seine Bewandtnis, wie man zum Beispiel aus dem "Parsifal" weiß. Bei uns war es ein nicht geschriebenes Wort, das aus dem Resümee eines grausigen Verbrechens fast einen Jux von der Art gemacht hätte, die man an Überschriften wie "Mäuse (Computer, Notare, was auch immer) sind auch nur Menschen" erkennt. Es ging um den Amoklauf von Winnenden, und die fragliche, unseren Leser H. "vergrämende" Stelle lautete: "Der Schüler Tim K. tötete an der Albertville-Realschule acht Mädchen, einen Jungen und drei Lehrerinnen, flüchtete und erschoss drei Menschen und sich selbst." Dass es "drei weitere Menschen" hätte heißen müssen, sei hiermit betrübt nachgetragen.

"SCHRECKLICH", klagt unsere Leserin Z. und zitiert, was sie so schreckt: "Doyle hat es selbst designt." Zum Verständnis sei nachgetragen, dass Arthur Conan Doyles einstiges Wohnhaus Undershaw umgebaut und einer vergleichsweise banalen Nutzung zugeführt werden soll. Frau Z. lässt offen, was sie an dem Satz so schrecklich findet: die Konjugation des aus dem Englischen eingesickerten designen oder den Umstand, dass dieses Wort überhaupt verwendet wurde. Was Ersteres angeht, so hat das Verb längst Heimatrecht, wird aber, als englisch-deutsches Mischwesen, konjugationstechnisch vorderhand auf ähnlichen Krücken gehen wie recycelt oder gecancelt . Zu Letzterem: Die Kollegin, von der die inkriminierte Stelle stammt, hätte sich nichts vergeben, wenn sie geschrieben hätte, dass Doyle sein Haus einst selber entworfen hatte.

"UNSER DUDEN gibt dazu nichts her", schreibt Leserin S., und sie meint damit "die kläubelnde Lebendigkeit", die unser Feuilleton dem jungen Albrecht Dürer attestierte. Im Krünitz findet sich für kläubeln die Definition: "Mit kleinen Bissen nagen oder essen, die Speise bloß versuchen, daran zwicken", und bei Grimm steht noch ein bisschen mehr. Kläubeln bedeutet hier unter anderem so viel wie "sorgfältig absuchen" und "wählig herumsuchen, wie es kranke oder verwöhnte machen", woraus zu schließen wäre, dass der junge Dürer bei all seiner Lebendigkeit ungemein tüftelig war.

© SZ vom 02./03.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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