Sprachlabor (149):Verbuchen oder buchen?

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger vertieft sich in absinkendes Wortgut.

OHNE KONKRETEN BELEG klagt Leser R. darüber, dass in unserem und anderen Blättern das Wort verbuchen - beispielsweise "er verbuchte den Punkt für sich" - stets unkorrekt verwendet werde. Es ist nicht ganz klar, ob Herr R. das ernst meint, aber seine These geht dahin, dass verbuchen ähnlich pejorativ zu verstehen sei wie beispielsweise sich verlaufen oder verdrehen und dass es für den Sieger völlig ausreiche, den Punkt für sich zu buchen . (Da er in seinem Brief freilich selbst einmal "wenn ich mich verbuche" schreibt, ist anzunehmen, dass er uns mehr Spaßes als Ernstes halber das Steinchen in den Hof geworfen hat.) Die gängigen Wörterbücher führen verbuchen im Sinn von buchen/kontieren , und es ist anzunehmen, dass das Präfix ver- hier die gleiche perfektierende Funktion hat wie bei vermischen oder versinken .

Eine Frau liest  im Wörterbuch. (Foto: dpa)

DIE VORLIEBE für längst versunkenes oder eben absinkendes Wortgut bringt es nicht selten mit sich, dass der, der solche Wörter aus Trotz und Nostalgie verwendet, ihnen einen Sinn unterlegt, den sie nie hatten, seiner Ansicht aber haben. Ein schönes Exempel dafür haben wir in dem Adverb hinfort , das in jüngster Zeit zweimal im Streiflicht verwendet wurde. Einmal hieß es, dass ein Sänger etwas "hinfortschmettere", das andere Mal war von einem shitstorm die Rede, der Leute "hinfortfegen wird". Das klang nach einer kleinen Verschwörung von hinfort -Piraten, doch zeigte ein Blick ins Archiv, dass sich die Hinfortianer längst fest eingenistet haben. Da wird ein Ball hinfortgefaustet, eine Bemerkung hinfortgegrinst, ein Missgeschick hinfortgeplaudert, eine Winterjacke hinfortgeworfen, der Schmerz hinfortgeknetet - und keiner, der diese Blüten gegenliest, ist sich dessen bewusst, dass hinfort ausschließlich zeitlich gemeint ist, im Sinn von von nun an, von jetzt ab . Luther verwendet das Wort in der Form hinfurt , was sich im zweiten Brief des Paulus an Timotheus so anhört: "Hinfurt ist mir beygelegt die Kron der gerechtigkeit . . ."

DER VORLIEBE für absinkende Wörter entspricht auf der anderen Seite die für auftauchende. Hochbeliebt ist, auch bei uns im Blatt, das die Stelle von Szenarium und insbesondere von Szenerie nachhaltig, wenn auch nicht gleichwertig vertretende Szenario . Unsere Leserin Sch. hält es für einen ausgemachten "Blödsinn" und redet uns folgendermaßen ins Gewissen: "Sie sagen ja auch nicht Universo oder Aquario." Tja, was herrscht da? Zunächst mal Silentio.

© SZ vom 19./20.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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