Sprachlabor (133):Wenn es "kapierbar" wird

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger bekommt so einiges an den Kopf geworfen.

DIE ÜBLICHSTEN Adjektive auf -bar sind dem Grimm'schen Wörterbuch zufolge unter anderem: achtbar, dienstbar, kampfbar, schöffenbar und wunderbar . Heute müsste man diese Liste um die Vokabel unverzichtbar erweitern, die von vielen umso abgründiger gehasst wird, als sie längst schon in den Duden vorgedrungen ist, in der Bedeutung "so wichtig, dass ein Verzicht unmöglich ist". Das Muster, mit Hilfe des Suffixes -bar ein neues Wort zu basteln, ist heute nur noch auf verbaler Basis produktiv, weswegen ja auch das krause Gebilde unkaputtbar allgemein als zwar irgendwie lustig, aber dennoch grundfalsch wahrgenommen wird. In einem Editorial hieß es kürzlich, bestimmte Skandale seien nur deswegen zu Skandalen geworden, weil sie "kapierbar" gewesen seien. Leser H. meint, dass man solche Wörter "auch nicht im Spaß gebrauchen" sollte, weil dadurch das Deutsche noch mehr verludere. Sagen wir's so: Technisch ist an kapierbar nichts auszusetzen, doch hätte es auch gereicht, wenn die Skandale zu kapieren oder, noch besser, verständlich gewesen wären.

Das Denkmal der Brüder Wilhelm (1786 bis 1859, links) und Jacob (1785-1863) Grimm auf dem Brüder-Grimm-Platz in Kassel. (Foto: dpa)

WAS SOLL MAN mit einem Brief wie dem des Lesers R. anfangen, in dem es heißt, "jeder Schmierling (sprich Journalist)" gebrauche heute "bei jeder Gelegenheit, ob passend oder nicht, das Wort Kultur", und in dem ferner behauptet wird, unserem "Sprachduktus" nach gebe es in Syrien derzeit so etwas wie eine "Kriegskultur"? Bei den Schmierlingen sind wir großzügig, da haben wir schon anderes an den Kopf geworfen bekommen, und dass uns hin und wieder Albernheiten wie die Event-, Häppchen- oder Flirtkultur durchrutschen, geben wir anstandslos zu. Ehe wir uns aber die Kriegskultur in die Schuhe schieben lassen, hätten wir ganz gern die Fundstelle: Unserem elektronischen Archiv zufolge wurde das Wort im Jahr 2011 bei uns nämlich überhaupt nicht verwendet.

UND WAS SOLL mit dieser Einsendung geschehen? Unser Leser F. schreit angesichts der Überschrift "Vom Dissident zum Dichterpräsident" so empört auf, wie sich das nach Lage der Dinge auch gehört, nur spricht das Archiv hier ebenfalls eine andere Sprache. Der dort auffindbare Gedenktext für Václav Havel trägt einen Titel, in dem sowohl der Dissident als auch der Präsident korrekt, also "schwach", dekliniert sind: "Vom Dissidenten zum Dichterpräsidenten." Möglicherweise hat Herr F. eine noch unfertige Version zu Gesicht bekommen, und es wird ihm ein ungenügender Trost sein, dass wir hin und wieder das, was wir dem Dissident fälschlicherweise verweigern, dem Autoren genauso fälschlich zuschlagen.

© SZ vom 14./15.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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