Sprachlabor (127):Mit oder ohne Gänsefüßchen

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger nimmt die Anführungszeichen ins Visier.

BEVOR DIE DDR staatsrechtlich anerkannt wurde, war es üblich, bei ihrer Nennung Gänsefüßchen in die Luft zu malen oder von der "sogenannten DDR" zu sprechen. Damals druckte ein Satireblatt ein Foto, auf dem Walter Ulbricht den Eindruck erweckte, als habe er unter dem Tisch die Hand auf Ludwig Erhards Knie, und aus dessen Mund kam eine Sprechblase mit ungefähr folgendem Text: "Walter, nimm bitte sofort deine sogenannte Hand da weg!"

Das DDR-Schild hängt an der Stoßstange eines eingewachsenen VW-Käfers, Baujahr 1946. Versteckt in einem Garten ist es ein kleines Denkmal deutsch-deutscher Geschichte. Drei Stunden sei die Mauer offen gewesen, da wechselte der Wagen den Besitzer. (Foto: ag.dpa)

Mit der DDR konnte man sich, so die Konvention, Scherze dieser Art leisten. Schwieriger wird es, wenn das "Dritte Reich" respektive das sogenannte Dritte Reich den Hintergrund bildet. Kürzlich wurde General Rommel bei uns "Wüstenfuchs" genannt, wohlweislich ohne Gänsefüßchen, was auf Leser Dr. S. so wirkte, als werde er von der SZ genötigt, "am Tisch der alten Kameraden Platz zu nehmen". Das zu tun liegt uns fern, und darum werden wir Erwin Rommel, der ja kein echter Wüstenfuchs (Vulpes zerda) war, künftig nur noch als sogenannten Wüstenfuchs, als Wüstenfuchs kursiv oder als Fuchs in Gänsefüßchen auftreten lassen.

Wo der "Wüstenfuchs" durch die Texte schnürt, ist die "Reichskristallnacht" nicht weit, und bei ihr wird es noch ein wenig schwieriger. Zum einen liegt das an dem Terminus selbst, der die Schrecknisse jener Novembernacht ja auf einen grausig heiteren Nenner bringt, indem er einerseits das Scherbenchaos euphemistisch hinter dem feinen Wort Kristall verbirgt, andererseits mit Nazititeln wie "Reichsjägermeister" oder "Reichsnährstand" seinen nur allzu berechtigten Spott treibt; man gedenke bei der Gelegenheit der "Reichswasserleiche" Kristina Söderbaum und des "Reichstrunkenbolds" Robert Ley, den sie wahlweise auch "Immerblau" nannten.

Leser H., der sich für den Begriff "Novemberpogrome" (alternativ: "Novemberpogromnacht") starkmacht, hält die "Reichspogromnacht" für eine "pseudo-korrekte Hybridbildung" und für "unsäglich". Er vertritt den Standpunkt, wonach die "Reichskristallnacht" eine zynische Erfindung der NSDAP-Propaganda gewesen sei. In diesem Punkt gehen die Meinungen getrennte Wege; als Urheber des Wortes wurden auch schon der Berliner Volksmund und der Kabarettist Werner Finck genannt. Die FAZ definierte es einmal als "grimmig-politisches Witzwort, das im Nu im Volke umlief und treffend den einen Kern der Sache enthüllte: die Lüge vom spontanen Volkszorn". In der SZ plädierte Friedemann Bedürftig auf ähnlicher Basis gegen die Verwendung von Pogrom: Der Begriff"hat etwas von Naturereignis und anonymisiert die Verbrecher".

© SZ vom 26./27.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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