Sprachlabor (111):Karenzzeit erbeten!

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger wirft seine Suchmaschine an und blättert im Brockhaus.

WAS SCHREIBT MAN über einen Artikel, wenn darin von jungen Kanadiern die Rede ist, die ihrem Land den Rücken kehren und in der Heimat ihrer Vorfahren Arbeit suchen? Wie macht man auf einen Text über einen Stammbaumforscher aufmerksam, der beim Heimatbund über sein Fach referiert hat? Mit welcher Schlagzeile zieht man den Leser in eine Reportage darüber, dass sich viele Deutsche lieber unter einem Baum als auf dem Friedhof begraben lassen? Richtig: Man wählt den schönen Titel "Zurück zu den Wurzeln". Indessen sollte man mit dieser wie mit allen Schlagzeilen vorsichtig sein - nur weil einer heute etwas tut, was er auch vorgestern schon getan hat, geht er noch nicht zurück zu seinen Wurzeln. Unser Leser Dr. K. hat herausbekommen, dass diese Überschrift seit dem 1. Januar 2010 bei uns 24-mal verwendet wurde, und rät zu einer Karenzzeit. Unter dem Eindruck dieses guten Rats haben wir die eingangs erwähnten drei Beispiele noch einmal geprüft, mit dem Ergebnis, dass Leute, die sich unter Bäumen begraben lassen, nur dann wirklich zu ihren Wurzeln zurückgehen, wenn sie auch von Bäumen abstammen.

Ein Blick auf die Benutzeroberfläche der elektronischen Ausgabe des Brockhaus-Lexikons. Eine inteligente Suchmaschine ermöglicht auch die Suche nach verwandten Suchbegriffen. (Foto: AP)

UM EINEN UNSINN besser als Unsinn zu erkennen, sollte man manchmal ein Stück zurücktreten. Unser Leser R. war entsetzt über einen Biergarten-Text, in dem das "Noagerl", also der Getränkerest im Glas, zu "Norgerl" mutiert war: Ob das ein "kleiner Norweger" sei, wollte er wissen. Wir warfen daraufhin die Suchmaschine an und landeten nach einer Weile auf einer französischen Seite, die, aus welchen Gründen auch immer, deutsche Synonyme für norgerl suchte. Hier die Funde: norgeerl, noorgerl, norrgerrl, norggerl, norgerll, nnorgerl, morgerl, orgerl und norger. Die Autoren des Artikels haben zugesagt, darüber in ihrer Stammborzn nachzudenken.

DER LETZTE BROCKHAUS hat zwar auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, ist aber, da er "das gesicherte Wissen der Gegenwart" birgt (Brockhaus über Brockhaus), nach wie vor ein höchst zuverlässiger Weggefährte. In seinem zehnten Band stehen über den Begriff Ikone an die drei Spalten, doch findet sich darin kein Wort über die Ikone , wie sie heute oft gebraucht wird: als Synonym für Idol oder Vorbild . Wenn wir unsere Leserin K. recht verstehen, ist ihr nicht nur diese abgeleitete Ikone ein Gräuel, sondern auch und noch mehr die Stilikone , besonders wenn sie, wie kürzlich im Streiflicht, ohne Bindestrich dasteht und aussieht wie der Plural von Silikon , in den sich ein "t" verirrt hat. Da wir gerade beim Buchstabentändeln sind: Ewig schade, dass sich Ennio Morricone nicht mit "k" schreibt - als "Ikone der Filmmusik", die er immerhin seit langem ist.

© SZ vom 02./03.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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