Sprachlabor (102):Das Muster ist immer gleich

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger sucht nach Belegen.

ALS JESUS von den Toten auferstanden war, saß in der verlassenen Grabeshöhle ein weiß gekleideter Jüngling, der zu den frommen Frauen also sprach: "Ihr suchet Jesum von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden, und ist nicht hier." So steht es beim Evangelisten Markus. Angenommen, das Wundersame begäbe sich hier und heute, und der Jüngling im lichten Gewande wäre ein junger Kollege, frisch von der Journalistenschule. Bei ihm könnte der Botschaft zweiter Teil folgendermaßen lauten: "Er ist auferstanden. Und ja, er ist nicht hier."

Unter einem Archiv versteht man eine Institution oder Organisationseinheit, in der Dokumente, die zur laufenden Aufgabenerfüllung nicht mehr notwendig sind, erfasst, erschlossen, erhalten, ausgewertet und zugänglich gemacht werden. (Foto: ddp)

Ist eine Sprachmarotte erst einmal in der Welt, setzt sie sich mit erstaunlicher Hartnäckigkeit fest. Sie breitet sich aus wie ein Unkraut, etwa wie die Quecke, die sich mittels unterirdischer Rhizome und über Samenbildung vermehrt und der man selbst mit Bodenbearbeitungsgeräten nicht beikommt, weil damit die Rhizome zerteilt werden, die Quecke also auf mechanischem Weg vervielfältigt wird. Auf "und ja" bezogen heißt das, dass diese Marotte besonders über rhizomartig fortwuchernde Zeitungsartikel und schwer besamende Kommentare weiterverbreitet wird, und wenn man sich mit einer Scheibenegge wie diesem Labor an das Unkraut macht, sieht man sich wenig später mit der Tatsache konfrontiert, dass es an tausend anderen, bisher sauberen Plätzen emporsprießt.

Unser Archiv spuckt für die vergangenen zehn Jahre 1194 "und ja"-Belege aus. Der jüngste kommt von der Frankfurter Allgemeinen , aus einer Literaturkritik: "Natürlich findet sie Geld und Macht sexy, und, ja, sie bricht ihm das Herz." Den ältesten steuert die Zeit bei, in einem Text über eine Ausstellung im Kensington Palace, welche "die Hoffnungen, Sehnsüchte, Ängste, das Glück und, ja, das Unglück der Prinzessinnen sichtbar" machen soll. Das könnte so aussehen, als sollten ein paar prominentere Sündenböcke vorgeschoben werden. Dem ist nicht so. Die Süddeutsche ist an der "und ja"-Mission maßgeblich beteiligt, sie steuert 37 Prozent der Fälle bei, 323 genau. Hier ein beliebig herausgepicktes Beispiel, aus einem lokalen Sportbericht: "Am Zaun lehnt ein Spieler von Sechzig, und ja, man kann mit ihm reden."

Das Muster ist immer gleich. Mit dem "und ja" wird ein zweiter oder weiterer Teilsatz eingeleitet, der an seinen Vorläufer sonst mit "und" anschlösse. Diese Abfolge ist dem Autor aber zu schlicht, weswegen er so tut, als hätte irgendwer Zweifel am Fortgang geäußert oder das Kommende bereits vorweggenommen. Konstruieren wir ein Beispiel: Die Sonne scheint, und es ist heiß. Man könnte nun schreiben: "Die Sonne scheint, und es ist heiß." Der Autor aber denkt: Offenbar will mir keiner glauben, dass es bei Sonnenschein heiß ist, bzw.: Hat da nicht gerade wer gesagt, es sei auch heiß? So schreibt er denn: "Die Sonne scheint, und ja, es ist heiß."

Die Quecke wächst und wuchert. Und nein, man kommt nicht dagegen an.

© SZ vom 21./22.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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