Sprachlabor (101):Eine Überlegung wert

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SZ-Redakteur Hermann Unterstöger und eine Standardsünde.

WENN MAKABRES hier einlangt, dann nicht selten aus Österreich, und so ist es denn unser eifriger österreichischer Leser E., der den Begriff Kindsmörder - so wurde bei uns Magnus Gäfgen genannt - mit dem des Rindsbratens in Verbindung bringt. Hintergrund der Koppelung ist die Überlegung, dass man auch Rinderbraten sagen kann, ohne dass damit unterstellt würde, der Braten bestünde aus dem Fleisch mehrerer Rinder. In lockerer Anlehnung daran plädiert Herr E. auch bei der Ermordung nur eines Kindes für den Terminus Kindermörder , nicht zuletzt deswegen, weil mit dem Kindsmord traditionell die bald nach der Geburt begangene Tötung des eigenen Kindes gemeint war (die Kindstötung , ein wegen der Zwangslage der ledigen Mutter "privilegiertes" Tötungsdelikt, wurde 1998 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen).

Die Strafprozessordnung (StPO) und das Strafgesetzbuch (StGB) liegen im Landgericht in Bielefeld auf. (Foto: dapd)

Man wird in dieser Sache zu keinem endgültigen, jedermann befriedigenden Befund kommen. Zwar ist Herrn E. zuzustimmen, wenn er für seine Sache den Kinderschänder anführt, der sich um dieses Titels willen ja auch nicht an mehreren Kindern vergangen haben muss. Andererseits kann auch hier ein Blick in den Grimm nicht schaden. Dort ist die Kindermörderin das Schlagwort, und die Differenzierung ein Kind vs. mehrere Kinder wird als "Pedanterei" abgetan. Der Autor erwähnt vielmehr Wörter wie Kinderauge, Kindergrab oder Kinderkleid , die ungeachtet ihrer pluralischen Bildung sehr wohl auch auf ein Kind bezogen werden könnten.

Umgekehrt belässt es Kindsverderber leider selten bei einem einzigen Kind. Um noch einmal das Makabre an Österreich herauszustreichen, so sei an den bei Friedrich Torberg rühmlich erwähnten Anwalt Hugo Sperber erinnert, dessen Traum dieser Werbespruch war: "Räuber, Mörder, Kindsverderber / gehen nur zu Doktor Sperber."

EINER STANDARDSÜNDE gedenkt unser Leser Dr. D.: der falsch bezogenen Adjektive bei Komposita. Zur Illustration dieses Vergehens wird gern der vierstöckige Hausbesitzer zitiert, bei dem unmittelbar einleuchtet, was schiefgeht, wenn das zum Bestimmungswort des Kompositums gehörige Adjektiv auf dem Grundwort sitzen bleibt. Dr. D. moniert bei uns das ebenfalls schräge, aber vergleichsweise harmlose "Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern" und kommt von da auf Guttenbergs viel beredete Doktorarbeit über die Verfassungen der USA und der EU, in deren Titel ihm der Ausdruck "Konstitutionelle Entwicklungsstufen" missfällt. Das ist, wie man so sagt, nicht unser Bier. Trotzdem haben wir hier ein schönes Beispiel für diese Sorte von Kurzschlüssen, denn gemeint war ja wohl "Stufen der konstitutionellen Entwicklung". Mehr noch: Übersetzt man konstitutionell ins Deutsche, hieße es "Verfassungsmäßige Entwicklungsstufen", was die Folgerung zuließe, dass es auch verfassungswidrige Entwicklungsstufen gibt.

© SZ vom 16./17.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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