Jahreswechsel:Bytes und Bruckner: Kann das Internet die Klassik retten?

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Berlin (dpa) - Die Personalie erinnert an die Papstwahl: Erst in der zweiten Maihälfte 2015 wollen die Berliner Philharmoniker zur Wahl ihres neuen Chefdirigenten zusammentreten und den Namen von Simon Rattles Nachfolger verkünden.

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Berlin (dpa) - Die Personalie erinnert an die Papstwahl: Erst in der zweiten Maihälfte 2015 wollen die Berliner Philharmoniker zur Wahl ihres neuen Chefdirigenten zusammentreten und den Namen von Simon Rattles Nachfolger verkünden.

Bis zum weißen Rauch herrscht wohl Funkstille. Auf Spekulationen reagieren Orchestermusiker mit einem Lächeln - und sagen nichts.

Ob der Venezolaner Gustavo Dudamel, der als Musikchef in Los Angeles für Furore sorgt, der Lette Andris Nelsons, neuer Boss beim Boston Symphony Orchestra, oder Münchens Opernchef Kirill Petrenko - sie kommen im Berliner Kandidaten-Bingo immer wieder vor, auch Kollegen wie Mariss Jansons, Christian Thielemann oder Daniel Barenboim. Dann folgen immer wieder Gründe, warum dieser oder jener nicht infrage kommt - zu jung, zu alt, verhindert, unerfahren.

Wer auch immer 2018 den begehrten Job übernimmt: Der oder die Neue wird sich den Herausforderungen der Internet-Welt stellen müssen. Vor 15 Jahren, als die Philharmoniker Rattle zum Nachfolger von Claudio Abbado wählten, hieß es, der Brite solle das Orchester in das 21. Jahrhundert führen. Sir Simon spielte mit. Das wird wohl auch sein Nachfolger tun müssen.

Mit Kinofilmen, ungewöhnlichen Programmen und einem Bildungsprojekt für junge Leute strecken die Philharmoniker seitdem ihre Fühler nach den Zuhörern von morgen aus. Sie geben damit den Takt an. Mittlerweile kommt kaum ein Orchester ohne ein „Education Programm“ aus. Auch mit der Digital Concert Hall setzten sie Maßstäbe: Zuhörer können sich weltweit gegen Bezahlung per Livestream einloggen, wenn das Orchester aus der Philharmonie spielt.

Ob Mahler oder Verdi: Wer klassische Musik hören und sehen will, ist vielerorts nicht mehr auf ein Konzert- oder Opernhaus angewiesen. New Yorks Metropolitan Opera und Londons Opernhaus Covent Garden übertragen ihre Aufführungen in Hunderte Kinos - „La Traviata“ live zu Popcorn und Cola. Was Puristen ein Graus sein mag, könnte für die Elefanten der Branche die Rettung sein. Die New Yorker „Met“, zur Finanzierung auf - nachlassende - Sponsorengelder angewiesen, erwirtschaftet mittlerweile mehr als 10 Prozent ihres Budgets von 310 Millionen US-Dollar (etwa 250 Millionen Euro) mit den weltweiten HD-Übertragungen.

Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner, der aus der Musikbranche kommt und Manager beim Plattenkonzern Universal war, rief jüngst die Opernhäuser der Hauptstadt auf, sich mit den neuen technischen Möglichkeiten anzufreunden. Doch die Beispiele aus London oder New York sind nicht unbedingt übertragbar. Deutschland genießt noch immer ein dichtes Musikangebot zu erschwinglichen Preisen, argumentieren die Opernhäuser. Dazu kämen enorme technischen Kosten, die sich kein Haus ohne Sponsoren leisten kann.

Die Klassik-Branche hinkt dem Trend hinterher. Zwar stieg ihr Umsatz 2013 mit CDs und Videos um 6,4 Prozent auf 90 Millionen Euro. Doch der Download-Anteil lag bei nur fünf Prozent. Die Klassik habe „die großen digitalen Herausforderungen nach wie vor noch vor sich“, befand der Bundesverband Musikindustrie.

Zu den Vorreitern gehört Daniel Barenboim. Der Dirigent und Pianist hat unter dem Namen „Peral Music“ ein eigenes Internet-Musiklabel gestartet. Ein Konzert mit der Pianistin Martha Argerich und eine Einspielung mit Bruckner-Sinfonien stehen bereits zur Verfügung. Er wolle vor allem junge Leute erreichen, die der Klassik fernstehen, aber in der digitalen Welt zu Hause seien.

Technik hin oder her - Maren Borchers, die in Berlin eine PR-Agentur für Klassik leitet, sieht vor allem die Konzertveranstalter am Zug. „Wir müssen neue Darbietungsformen finden“, sagt Borchers, die früher Managerin beim Plattenkonzern EMI war. Ob ein altes Wasserwerk oder ein Club - mit neuen Aufführungsorten, weg von der starren Struktur des Abendkonzerts, ließen sich auch junge Zuhörer ansprechen - „selbst wenn beim Kammerkonzert dann mal eine Flasche Bier klirrt“.

Die Musiker der Smartphone-Generation seien durchaus für Experimente offen, sagt Borchers. Zwar könnten Crossover-Versuche, wie sie etwa der Deutsch-Brite Max Richter mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ unternimmt, als „Türöffner“ funktionieren. Am Ende zähle aber das persönliche Hörerlebnis, jener magische Moment, wenn Klang erzeugt werde. Letztendlich, sagt Borchers und zitiert dabei den jungen Pianisten Igor Levit, sei „jede Musik Gegenwartsmusik“.

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