Weltmeere:Matrosen-Flaute auf dem Kiez

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Seemänner und Reeperbahn - das gehört für viele genauso zusammen wie Urlaub und Sandstrand. Nicht zuletzt der bekannte Schlager von Hans Albers festigte das Klischee vom Seemann, der in jedem Hafen ein Mädchen hat und auf der Reeperbahn Huren aufsucht. Aber heute ist das ganz anders.

Liebesbedürftige Matrosen gab es auf St. Pauli einst viele. Vor 150 Jahren machten die Transportschiffe noch direkt an den heutigen Landungsbrücken fest. Von hier war es für die Matrosen nur ein Katzensprung zur Reeperbahn - und oft nur eine Nacht, bis die Heuer durchgebracht.

Kein Matrose weit und breit. Den Damen aus der Herbertstraße ist noch kein Seeman untergekommen. (Foto: Thomas Heß)

Heute gehört der Hamburger Hafen zu den größten der Welt. Die großen Schiffe liegen weit weg vom Kiez: im Containerhafen auf der Südseite der Elbe. Moderne Löschungslogistik reduziert den Aufenthalt der Matrosen auf ein Minimum - in der Regel auf höchstens 24 Stunden.

Herbertstraße wie leergefegt

Zudem kommen die Seemänner aus fernen Ländern und verdienen auf den Billig-Flaggen-Schiffen oft nur einen Dollar pro Tag. Das langt nicht für einen Besuch bei den Damen in der Herbertstraße, die Matrosen nur noch von Bildern kennen.

Auch für deutsche Seemänner hat der Kiez seinen Reiz verloren. Die einen halten die Reeperbahn für reinen Nepp. "Viel zu teuer, da wird man ja nur abgezockt!", glauben sie. Die anderen beklagen, dass es dort keine urigen Seemannskneipen mehr gebe und der Kiez nur was für Touristen sei.

Einer der Seemänner hat dann doch einen Tipp, wo man auf der Reeperbahn noch Matrosen in Uniform sehen kann: "Gehen Sie doch einmal ins Wachsfigurenkabinett, da stehen bestimmt welche."

Exotische Rumpelkammer

Dennoch findet sich der Flair der Weltmeere in St. Pauli wieder. Am Hans-Albers-Platz hinauf in die Balduinstraße 18: Dort befindet sich "Harry's Hafenbasar". Gründer Harry Rosenberg hat vor einem halben Jahrhundert einen Laden gegründet, in dem sich Abertausende von kleinen und großen Sachen befinden, die Seeleute von ihren Fahrten über die sieben Weltmeere nach Hamburg gebracht haben.

Wie Stalaktiten hängen afrikanische Masken von der Decke, während von links und rechts aus übervollen Regalen präparierte Tiere, Trommeln, Holzskulpturen und unterschiedlichste Gottheiten in ein Labyrinth aus schmalen Gängen drängen. Selbst das Tageslicht kommt in diesen üppig dekorierten Grotten nicht weit.

Das lässt die Schrumpfkopf-Imitationen umso erschreckender aussehen. Aber nicht annähernd so furchteinflößend wie den letzten echten Schrumpfkopf. Den zeigt Karin Rosenberg, die Enkelin des legendären Harrys, gar nicht mehr ohne Nachfrage. "Das ist nichts für schwache Nerven."

Um die Kuriositäten aus aller Welt zu betrachten, drängt man sich durch enge Gänge. Das war schon immer so im Hafenbasar, der schon mehrmals mit Sack und Pack umziehen musste. Niemand weiß genau, wieviele Dinge hier lagern, doch dass es viele sind, daran besteht kein Zweifel. Jedenfalls ist niemand je der Aufforderung des alten Harry nachgekommen, dass wer seine Zahl von 300.000 nicht glaube, bitteschön selbst zählen solle.

Das geht unter die Haut

Umgekehrt ist es bei den Dingen, die aus dem Laden am Hamburger Berg 8 kommen - die Tattoos, die hier gestochen wurden, sind in die ganze Welt gereist. Der Laden von Ernst Günter Götz ist die älteste Tätowierstube Deutschlands. 1946 meldete sie sein Großonkel im Gewerbeamt Hamburg an. Seitdem können sich dort Kunden jedes Motiv in jeder Farbe auf fast jedes Körperteil tätowieren lassen.

Beratung ist das A und O der Tätowierstube, darüber sind sich Götz und seine Angestellten einig. Ein Tattoo sollte wohl überlegt sein. Deshalb wird ein 14jährige Mädchen auch wieder weggeschickt: "Eure Tochter ist für eine Tätowierung noch zu jung", sagt Götz energisch zu ihrem bittenden Vater. "Sie befindet sich im Wachstum. Das Tattoo würde sich mit zunehmendem Alter auseinander ziehen und hässlich aussehen."

Auch Tattoos an den Händen, auf dem Hals und im Gesicht sind für Götz tabu: "Ich will nicht, dass die Leute im Job Ärger bekommen."

1985 übernahm Götz die Stube von seinem Onkel, Herbert Hoffmann. Vorher arbeitete er im öffentlichen Dienst und nur nebenbei in der Tätowierstube. Hoffmann drängte seinen Neffen, das Geschäft zu übernehmen. Und so tauschte Götz seinen Bürostuhl mit dem Tätowierstuhl auf dem Kiez ein. Längst hat er aufgehört zu zählen, wie viele Tätowierungen er seither gestochen hat. Bereut hat er es noch nie.

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