"Summer of Love":Friede, Liebe, Spaß

San Francisco erinnert an den Sommer der Liebe vor 50 Jahren. Und feiert angesichts eines Präsidenten Donald Trump umso trotziger.

Von Hans Gasser

Wes Leslie fasst sich ein Herz. Er steht vor dem Haus 710 Ashbury und fragt den älteren Mann, der in der Einfahrt gerade die Einkaufstaschen aus seinem SUV hebt, ob er denn das Haus hier wegen dessen berühmter Geschichte gekauft habe. "Wie bitte?", antwortet der. "Na ja, wegen Grateful Dead, die hier gewohnt haben 1967 und der legendären Partys", so Leslie. "Oh nein", sagt der Mann, "das wusste ich nicht. Und wenn, dann hätte ich das Haus wohl eher nicht gekauft." Ansonsten sei ihm wichtig, dass man nicht ständig seine Einfahrt zuparke.

Wes Leslie, ein 25-jähriger Student und Musiker, trägt Strohhut, gelbe Hosen, die weit über den Knöcheln aufhören, dazu ein blaues Hemd mit Krawatte und Weste und eine runde Nickelbrille. Ein bisschen sieht er aus wie ein viktorianischer Schmetterlingsforscher. Er hat aber eine Gitarre dabei, auf der er eigene Songs spielt. Und solche, die zu seiner "Summer of Love"-Stadtführung passen. Vor dem perfekt renovierten viktorianischen Holzhaus mit der Nummer 710, in dem die Band The Grateful Dead, Großmeister des psychedelischen Rocks und wichtigste musikalische Stimme der Hippie-Bewegung, fast zwei Jahre lang lebte und für Skandale sorgte, spielt er "Friend of the Devil". "Der Freund des Teufels ist ein Freund von mir", heißt es darin. Das, erklärt Leslie, beziehe sich auf die Hells Angels. Die hatten ihr kalifornisches Hauptquartier genau gegenüber von Nummer 710 und pflegten mit den Musikern, sagen wir: gute geschäftliche Beziehungen, in denen Geld und Drogen, besonders LSD, eine gewichtige Rolle spielten.

"Die Mieten hier im Stadtteil Ashbury waren damals sehr günstig, die Gebäude heruntergekommen", sagt Leslie. "Deshalb zogen viele junge Menschen hierher, und es konnte sich eine Sub- und Gegenkultur entwickeln." Heute sei es für Künstler hier schwierig. Ein WG-Zimmer in einem der viktorianischen Häuser koste 1500 Dollar und mehr, weshalb er auch im Stadtteil Mission wohne. Sein Geld verdient er nicht mit Musik, sondern mit besonderen Stadtführungen, zu denen in diesem Jahr, in dem sich der "Summer of Love" zum 50. Mal jährt, natürlich auch eine Hippie-Führung zählen muss.

Reiseinformationen

Anreise: z. B. mit Lufthansa direkt von München oder Frankfurt/Main nach San Francisco, ca. 1000 Euro, www.lufthansa.com

Unterkunft: z. B. Hotel Zeppelin, Übernachtung im DZ p. P. ab 190 Euro, www.viceroyhotelsandre-sorts.com

Veranstaltungen Summer of Love: Eine große Ausstellung dazu im De Young Museum läuft noch bis 20. August, www.famsf.org; weitere Ausstellungen in der Historical Society, www.californiahistoricalsociety.org, sowie in der Public Library samt zahlreichen Events, www.sfpl.org; Führungen zum Thema (gegen Spende) mit Wes Leslie unter www.wildsftours.com; Fahrt im VW-Hippie-Bus, zwei Stunden für ca. 41 Euro, www.sanfranciscolovetours.com

Weitere Auskünfte: www.sftravel.com

San Francisco feiert den Sommer der Liebe, in einem Jahr, in dem die meisten hier noch immer nicht fassen können, dass einer wie Donald Trump an der Macht ist, der so ungefähr in allem das Gegenteil dessen verkörpert, was die Hippie-Bewegung einst postulierte: Liebe, Frieden, Spaß und natürlich eine freiere, gerechtere Welt. Aber vielleicht feiert man deshalb besonders stark in San Francisco. Mehr als 50 Institutionen beteiligen sich, darunter so renommierte wie die California Historical Society und das De Young Museum im Golden Gate Park. Letzteres mit einer großen Ausstellung, in der es vor allem um die Kleidung, Musik und psychedelische Plakatkunst der Blumenkinder geht.

Im Golden Gate Park und einem schmalen, damit verbundenen Grünstreifen namens Panhandle lag das Zentrum des Liebessommers. Der begann 1967 bereits im Januar mit dem sogenannten Human Be-In, einer Versammlung mit prominenten Rednern und Bands, aus Anlass des Verbots von LSD. Und er endete im Oktober mit dem "Death of Hippie", einem ironischen Trauerzug, bei dem ein Sarg mit der Aufschrift "Hippie - Son of Media" durch die Straßen getragen wurde. Eine Kritik daran, wie sehr die Medien die Hippie-Bewegung ausgeschlachtet hatten.

Aus ganz Amerika waren den Sommer über junge Menschen nach San Francisco gekommen, 100 000 sollen es gewesen sein, angezogen von dieser neuen Bewegung, die zunächst weniger politisch als kulturell angelegt war. Klar, man war gegen den Vietnamkrieg, für die Gleichberechtigung von Schwarzen und Homosexuellen, gegen reinen Konsum und für das Teilen von Wohnraum, Essen und anderen materiellen Gütern. Doch die stärkste Anziehungskraft entwickelte der Lifestyle: die Musik von Bands wie The Grateful Dead, Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service oder Janis Joplin, die hier ihren Durchbruch hatte; die Kleidung, inspiriert von indianischen Elementen wie Leder-Fransen und fernöstlichen wie die Batik; und schließlich natürlich auch der Drogenkonsum, vor allem LSD und Marihuana, sowie die postulierte freie Liebe.

Die Politik hatte natürlich Angst vor dieser Bewegung. Ronald Reagan, zu jener Zeit Gouverneur von Kalifornien, versuchte es mit Herabsetzung: Ein Hippie, sagte er, sei eine Person, "die sich anzieht wie Tarzan, Haare hat wie Jane und die riecht wie Cheetah". Die Hippies, die sich selbst Freaks nannten, machten einfach ihr Ding: Es gab Straßentheatergruppen und Gratiskonzerte, eine eigene Zeitung, den San Francisco Oracle. Die "Diggers", eine Gruppe linker Aktivisten, richteten Gratis-Geschäfte und Straßenküchen ein. Und es entstand die Haight Ashbury Free Clinic, die es heute noch gibt.

"Auf einmal waren da Zehntausende junge Menschen mit Drogenproblemen und Krankheiten, die versorgt werden mussten", sagt David Smith, der die Free Clinic 1967 gegründet und in den Jahrzehnten danach daraus eine ziemlich große gemeinnützige Organisation zur Gesundheitsversorgung der Ärmsten gemacht hat. Doctor Smith, wie ihn in San Francisco alle voller Bewunderung nennen, trägt Batik-T-Shirt und redet sich in Rage über Trumpcare und die befürchtete Kürzung von Regierungsgeldern für gemeinnützige Organisationen. "Das muss für Sie in Deutschland unvorstellbar sein, dass wir hier ein absolut rassistisches Gesundheitssystem haben und nun auch noch die Erfolge von Obamacare zurückgedreht werden sollen." Immerhin werden in der Haight Ashbury Free Clinic, die nun zu einem großen Klinikverbund gehört, noch immer Drogenabhängige aus dem Viertel unentgeltlich behandelt.

"Weed to sell"

Bedarf daran gibt es genug, wie jeder sieht, der im touristisch viel besuchten Viertel unterwegs ist. Viele Obdachlose, die in Hauseingängen schlafen, heruntergekommene Jugendliche mit Hund und großem Rucksack, andere, die einem "Weed to sell" zurufen, also Marihuana verkaufen wollen. Dessen Legalisierung wurde in Kalifornien jüngst beschlossen. Haight-Ashbury ist heute eine bunte Mischung aus viktorianischen Häusern, in denen die Reichen wohnen, kleinen Geschäften mit Himalaja-Kunst, schrulligen Haschpfeifchen- und Secondhandläden und dazwischen veganen Burger-Restaurants und sterilen Fitnessstudios. Viel ist nicht geblieben vom legendären Summer of Love, der Kommerz regiert wie überall.

Wer an der Ecke von Haight und Masonic Street den Laden "Love on Haight" betritt, kann sich aber kurz zurückversetzt fühlen in den Sommer 1967. Hier werden nur Batik-Klamotten verkauft, vom Slip bis zum Babystrampler, in den schrillsten Farben und Kopfweh-Mustern, selbst die Decke ist eine riesige Batik-Orgie. Aus den Lautsprechern tönt den ganzen Tag Grateful Dead. Mittendrin sitzt die Besitzerin, die sich Sunny Powers nennt, und natürlich komplett in ihr Sortiment gehüllt ist, dazu viel Glitter um die Augen und lange Federohrringe trägt.

"Summer of Love": "Eine magische Ecke": Im Viertel Haight-Ashbury ist der Kult ums Hippietum noch lebendig - verkörpert von Menschen wie Sunny Powers.

"Eine magische Ecke": Im Viertel Haight-Ashbury ist der Kult ums Hippietum noch lebendig - verkörpert von Menschen wie Sunny Powers.

(Foto: Hans Gasser)

"Das hier ist eine magische Ecke", sagt die 36-jährige Unternehmerin. "Hier draußen habe ich meinen ersten Kuss erlebt und meine erste Haschpfeife geraucht." Und jetzt sei sie, dank eines "Angel Investors", Besitzerin dieses Ladens geworden, mithilfe dessen sie mehr "Liebe, Farbe, und Mitmenschlichkeit" in das Viertel bringen möchte. Die Preise für die von "Familie und Freunden" gebatikten Kleider sind stolz, der Laden läuft gut.

Powers, die auch Sprecherin der Geschäftsbesitzer des Viertels ist, sagt, sie investiere einen Teil ihrer Gewinne in einen Verein, der versucht, Jugendliche von der Straße zu holen, ihnen zunächst mobile Duschen und dann einen Job als Müllsammler anbietet, um ihnen später Ausbildung und Jobperspektive zu ermöglichen. "Es gibt hier im Viertel viele, die verstanden haben, worum es den Hippies ging: dass man sich um den anderen kümmert." Die aktuelle Regierung mache diesbezüglich nichts. "Deshalb müssen wir es in die Hand nehmen", sagt Powers. "Hier ist diese Idee geboren, warum also nicht aus San Francisco eine Stadt der Mitmenschlichkeit machen?" Für so eine reiche Stadt gebe es immer noch zu viele Obdachlose. "Und wenn wir unser Viertel beleben wollen, müssen wir etwas für sie tun." Ist natürlich auch nicht gut fürs Geschäft, wenn davor die Armen betteln.

Dann muss Sunny Powers schnell ihren Laden verlassen, sie sucht eine neue Wohnung und muss zur Besichtigung. Maximal 4000 Dollar könne sie für die Monatsmiete zahlen, sagt sie noch, so sei das eben hier in San Francisco. Dann wünscht sie einen "magischen Tag" und verschwindet aus ihrem bunten Geschäft in einen kühlen, grauen, also nicht untypischen San-Francisco-Sommertag.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: